Verhüten mit dem Thermometer

Junge Frauen wenden sich vermehrt von der Pille ab und setzen auf alternative Verhütungsmethoden. Dabei stossen sie regelmässig auf Unverständnis. Was bringt natürliche Verhütung wirklich?

Lea Schubarth (Text) und Liv Robert (Illustration)
10. April 2025

Jeden Morgen misst Luisa* mit einem High-Tech-Thermometer ihre Körpertemperatur. Auf dem smarten Gerät befinden sich drei Lichter. Leuchtet das grüne, weiss sie, dass es sicher ist, ungeschützten Sex zu haben. Blinken das orange oder rote Licht, ist Vorsicht angesagt: Sie ist fruchtbar.

Luisas Thermometer ist der Mini-Computer «Daysy», der entwickelt wurde, um den Periodenzyklus zu tracken. Kostenpunkt: 300 Franken. Daysy und ähnliches Zubehör ist Teil einer nicht-hormonellen Verhütungsmethode, die sich natürliche Familienplanung (NFP) nennt. Immer mehr junge Frauen wenden diese statt hormonellen Verhütungsmethoden an. Bei «natürlicher Verhütung» denken viele etwa an das Eintragen der Periode in den Kalender oder «Pulling Out», eine unsichere Methode der Verhütung, gegen die im Aufklärungsunterricht bereits früh gewarnt wird. Doch die Verhütungsmethoden, denen sich junge Frauen zuwenden, sind zumeist komplexer und ausgeklügelter. 

Der Goldstandard von NFP ist die symptothermale Methode. Dabei misst man täglich die basale Körpertemperatur, erfasst die Konsistenz und das Aussehen des Gebärmutterschleims und tastet den Muttermund ab. Die erfassten Zustände trägt man in einem Zyklustracker ein. So entsteht ein ganzheitliches Bild und das fruchtbare Fenster kann, sofern der Zyklus regelmässig ist, gut eingeschätzt werden. Befindet man sich im Zeitfenster, wo es zur Befruchtung kommen könnte, nutzt man ein Kondom oder verzichtet auf penetrativen Sex.

Den Zyklus leben statt Hormone nehmen

Auch Michelle* verhütet mit dem smarten Thermometer Daysy: «Dank NFP habe ich viel über meinen Körper gelernt. Zum Beispiel konnte ich mit der Zeit an der Konsistenz des Gebärmutterschleims sehen, an welchem Punkt im Zyklus ich stehe. Den Muttermund taste ich nicht regelmässig ab. Vor und während dem Eisprung verhüten mein Freund und ich mit Kondom.» Probleme hatte sie mit der Methode noch nie: «Ungewollte Schwangerschaften kann man nicht restlos verhindern, auch mit hormonellen Verhütungsmethoden nicht. Ich glaube, wenn man alles richtig macht, ist der Schutz bei NFP gleich wie bei der Pille. Diese muss man auch jeden Tag nehmen.»

Aufpassen sollte, wer wechselnde ­Sexualpartner*innen hat – nicht wegen des Schwangerschaftsrisikos, sondern wegen des Schutzes vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Luisa und Michelle wenden NFP nur dann an, wenn sie in einer festen, exklusiven Beziehung sind. Auf Temperaturmessungen kann man sich nicht zu hundert Prozent verlassen. Insbesondere Krankheit, Stress oder Alkoholkonsum werfen die Körpertemperatur schnell aus der Bahn.

Das weiss ­Michelle. Doch sie sagt: «Ich spüre meinen Eisprung. Das gibt mir zusätzliche Sicherheit, was die fruchtbaren Tage angeht. Weil ich keine Hormone nehme, spüre ich, was in meinem Körper vor sich geht, und erkenne, in welcher Phase des Zyklus ich mich befinde. Relevant ist das auch, weil Frauen je nach Zyklusphase anders funktionieren. Nach dem Eisprung ist der weibliche Körper zm Beispiel tendenziell müder. Wenn ich das weiss, bin ich netter zu mir selber.» Auch Luisa sagt: «Meinen Körper so gut zu kennen und die Verbundenheit mit dem eigenen Zyklus zu spüren, ist mega empowering.» Sofern NFP richtig angewendet wird, hat sie keinen viel tieferen Pearl-Index als andere Methoden der Verhütung. Der Pearl-Index gibt an, wie viele von 100 Frauen bei korrekter Anwendung einer Verhütungsmethode während eines Jahres schwanger wurden.

Ein Indexwert von 3 bedeutet zum Beispiel, dass 3 aus 100 Frauen trotz Verhütung schwanger wurden. Während die Pille gemäss pro familia, Fachverband für Sexualberatung, Sexualpädagogik und Familienplanung, je nach Präparatsart einen Pearl-Index von 0,1-0,9 aufweist, ist es bei Kondomen 2-12, der Kupferspirale 0,3-0,8 und bei der symptothermalen Methode 0,4-1,8. Der Indexwert der symptothermalen Methode bezieht sich auf eine Kombination von Messungen und Verzicht auf Geschlechtsverkehr während der fruchtbaren Zeit. Am sichersten sind Kombinationen, etwa eine Art der hormonellen Verhütung kombiniert mit der Nutzung von Kondomen.

Essstörung wegen der Pille

Für Helene*, die ebenfalls die symptothermale Methode anwendet, ist eine Rückkehr zur hormonellen Verhütung trotzdem keine Option: «Ich habe als Jugendliche die Pille verschrieben bekommen, weil ich Akne hatte. Schlimme Nebenwirkungen hatte ich zwar nicht wirklich, doch ich hatte chronische Kopfschmerzen, die die Pille verschlimmerte. Auch meine Stimmung wurde von der Pille stark beeinflusst.»

Auch Luisa bekam die Pille als Aknebehandlung verschrieben, als sie 15 Jahre alt war: «Die Pille aus diesem Grund genommen zu haben, ist rückblickend total doof. Ich habe wegen der Hormone nämlich stark zugenommen, was eine Essstörung ausgelöst hat.» Beide sind heute zufriedener mit ihrer Verhütungsmethode. Helene sagt zudem: «Es klingt hart, aber wenn man Sex hat, muss man sich bewusst sein, dass man schwanger werden könnte. Ich verstehe alle, die gerne eine absolute Sicherheit hätten. Aber die gibt es nunmal nicht. Und dafür Hormone zu nehmen, ist es mir einfach nicht wert.» Michelle sieht es ähnlich: «Mit der Pille gaukelt man seinem Körper eigentlich monatlich eine Schwangerschaft vor. Das ist echt heftig.» 

Bei ihrer Gynäkologin stiess Luisa eher auf Unverständnis; diese legte ihr ans Herz, statt NFP wieder die Pille zu nehmen. Dass viele Frauen weder in der Schule noch in der gynäkologischen Sprechstunde über alternative Methoden der Verhütung aufgeklärt werden, kann gefährlich sein: Das Feld wird somit Laien überlassen, die oft unfundierte Behauptungen verbreiten, unqualifiziert für gynäkologische Beratungen sind, oder andere Absichten haben.

Abtreibungsgegner sponsern Tracker 

So kursieren etwa auf Tiktok und Instagram Videos von NFP-Influencerinnen, die über natürliche Verhütung aufklären. Die auf den ersten Blick gut gemeinten Beiträge sind aber oft mit falschen Informationen gestreut, zum Beispiel, was die Länge des fruchtbaren Zeitraums, die Komplexität von natürlicher Verhütung oder die vermeintlichen Gefahren hormoneller Verhütung angeht. Auch Apps, die zum Zyklustracken verwendet werden, unterscheiden sich stark. Viele Anbieter standen bereits in der Kritik, da sie sensible Daten sammeln und weiterverkaufen.

«The Guardian» berichtete zudem von rechten katholischen Stiftungen wie der Chiaroscuro Foundation, die mit der «Femm»-App einen Zyklustracker sponsern, der in der App Zweifel an der Effektivität und Sicherheit von hormoneller Verhütung streut. Die Chiaroscuro Foundation unterstützt unter anderem konservative Politiker*innen und Organisationen, die sich gegen das Recht auf Abtreibung und flächendeckenden Aufklärungsunterricht einsetzen. Ihr Hauptfinanzier, Sean Fieler, spricht sich öffentlich deutlich gegen Abtreibungen aus. Auf ihrer Webseite sowie der App verbreitet «Femm» unseriöse Aussagen von Ärzt*innen, die nicht als Gynäkolog*innen zugelassen sind. Dr. Lindsay Rerko etwa, die Hausärztin ist, schreibt auf der Webseite, dass hormonelle Verhütung krank mache. NFP hingegen sei eine «naturnähere» Art, Schwangerschaft zu vermeiden.

Ursprünglich von NFP erfahren hat Michelle nicht im Internet, sondern von einer Arbeitskollegin. «Ich dachte damals, sie sei auf einer Art Eso-Trip», erinnert sie sich. «Es gibt viele Vorurteile gegenüber natürlicher Verhütung.» Den Grund dafür sehe sie bei der Unwissenheit in der Gesellschaft: «Das Wissen, das es braucht, um ohne Hormone effektiv verhüten zu können, ist absolut vorhanden. Es wird Frauen bloss nicht ausreichend beigebracht; oder erst dann, wenn sie einen Kinderwunsch haben und nicht schwanger werden.»

*Namen von der Redaktion geändert