Dämonisch: Holzschnitt im «Hexenhammer» aus der Kölner Ausgabe von 1511.

Von Verhexung und Verhütung

Tausende von Frauen in der Schweiz wurden als Hexen verfolgt. Feministische Analysen sehen eine Verbindung zwischen Hexenverfolgung und Kapitalismus und erklären, was das Ganze mit Verhütung zu tun hat.

10. April 2025

1486 erschien der «Hexenhammer», eines der am weitesten verbreiteten Bücher der Frühen Neuzeit. Auf rund 700 Seiten wagt der Autor Heinrich Kramer den Versuch, die «Jagd auf die Hexen» zu legitimieren und gibt praktische Anleitungen zur Erkennung und Verurteilung derer, die der «Schwarzen Magie» verfallen sind. Der «Hexenhammer» verdeutlicht, dass die Hexenverfolgung in erster Linie als ein Problem der Frauen betrachtet wurde. Frauen seien der «schwarzen Magie» gegenüber anfälliger als Männer. So schreibt Kramer Frauen eine «unersättliche Begierde nach Geschlechtshandlungen» zu, was sie empfänglicher für die «Versuchung des Teufels» mache. Diese Darstellung verknüpfte weibliche Sexualität mit dem Bösen und trug dazu bei, Frauen zu disziplinieren und ihre Selbstbestimmung einzuschränken. 

Verhütungswissen ist suspekt

Als besonders bedrohlich nahm man Frauen wahr, die Wissen über den eigenen Körper besassen. Viele der Angeklagten waren etwa Heilerinnen oder Hebammen. Frauen, die sich mit natürlichen Verhütungsmethoden auskannten, wurden zur Zielscheibe der Verfolgung. Kramer betont mehrfach, dass Frauen verschiedene Wege kennen, der Empfängnis vorzubeugen. Mit Kräutern, Zaubertränken oder dem Wirken von Dämonen könnten sie die «natürliche» Fortpflanzung verhindern. Diese Darstellung stellt das Wissen über den eigenen Körper der Frauen als verdächtig und gefährlich dar. Verhütungswissen ermöglichte ein selbstbestimmteres Leben und gab Kontrolle über den eigenen Körper. Schwangerschaften brachten oft physische und psychische Risiken mit sich, die auch eine erhöhte Vulnerabilität bedeuteten.

Zugleich war die Hexenverfolgung jedoch ein vielschichtiges Phänomen. Sie richtete sich nicht ausschliesslich gegen Frauen, Heilerinnen oder jene mit Wissen über Verhütungspraktiken. Oft spielten etwa lokale Konflikte und persönliche Fehden eine entscheidende Rolle, wobei die Anklage und Verfolgung als Hexe ein Instrument waren, um diese auszutragen. Die Popularität des Buches zeigt sich in der hohen Anzahl an Neuauflagen: Gleich 29 Mal wurde der «Hexenhammer» erneut gedruckt. Auch in der Schweiz fand der Text hohen Anklang. Obwohl der Text weder von weltlichen noch religiösen Autoritäten offiziell anerkannt wurde, beeinflusste er die Gerichtsprozesse der Hexenverfolgungen stark. Er diente vielen Richtern als Leitfaden und lenkte die Verdächtigungen gezielt auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Besonders im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Schweiz zu einem Zentrum der Hexenverfolgung. Die politische Kleinteiligkeit des Landes mit autonomen Kantonen und lokalen Gerichten führte dazu, dass die Prozesse in grosser Zahl stattfinden konnten. Es fehlte eine zentrale Kontrolle oder eine einheitliche Rechtsgrundlage. So wurden in der Schweiz auch noch bis ins späte 18. Jahrhundert Hexen verfolgt. Anna Göldin, bekannt geworden als «die letzte Hexe Europas», wurde 1782 in Glarus hingerichtet.

Die Philosophin Silvia Federici untersucht in ihrem 2004 erschienenen Buch «Caliban und die Hexe» die historische Verbindung zwischen der Hexenverfolgung und dem Aufstieg des Kapitalismus aus einer marxistisch-feministischen Perspektive. Sie zeigt, wie Frauen durch die Kriminalisierung des Wissens über ihren eigenen Körper in eine unterdrückte, ausbeutbare Position gedrängt wurden. Sie waren verantwortlich für die unbezahlte Reproduktionsarbeit, also das Aufziehen von Kindern, aber auch Haus- und Pflegearbeiten. Hexenjagden dienten dabei nicht nur der physischen Vernichtung von Frauen, sondern auch als öffentliches Signal an alle anderen Frauen, sich den gesellschaftlichen Normen zu unterwerfen. Auch die Standorte der Verurteilungen seien strategisch, sagt Federici: «Wie Anna Göldin in Glarus wurden die Frauen öffentlich auf dem Dorf- oder Stadtplatz enthauptet oder verbrannt.»

Körper als Produktionsstätte

Federici argumentiert, dass die Hexenverfolgungen eng mit dem Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus verknüpft waren und keineswegs ein zufälliges Phänomen darstellte. Vielmehr handelte es sich um einen gezielten Prozess der Disziplinierung, der die Rolle der Frau im neuen kapitalistischen System umgestaltete. Der Kapitalismus benötigte eine stetig wachsende Arbeitskraft, und Frauen spielten dabei eine zentrale Rolle. In «Caliban und die Hexe» schreibt Federici: «Indem Frauen des Wissens über Empfängnisverhütung beraubt und Hebammen als Hexen verfolgt wurden, wurde die weibliche Kontrolle über Geburt und Fruchtbarkeit zerstört.» Auf den Scheiterhaufen seien nicht nur die Frauen als Hexen verbrannt worden, sondern mit ihnen auch ihr Wissen. Im Interview mit der Republik sagt sie: «Es gibt nicht nur die Produktion von Waren, es gibt auch die Produktion von Arbeitenden, von Humankapital. Die Frauen wurden damit zu einer wichtigen Säule der kapitalistischen Arbeitsorganisation.» Deshalb gebe es so viele Vorschriften über den Körper der Frauen, über die Sexualität der Frauen, über Abtreibung und Schwangerschaft: Die Fortpflanzung habe im Kapitalismus einen wirtschaftlichen Wert. 

Die Kernfamilie wird erfunden

Die Frauen waren also primär für die Produktion neuer Arbeitskräfte verantwortlich. Alles, was dem im Wege stand, musste beseitigt werden. Eine weitere wichtige Rolle im Übergang von der vorkapitalistischen zur kapitalistischen Gesellschaft spielten die «Commons», also gemeinschaftlich genutzte Ressourcen. Frauen waren oft für die Pflege dieser Ressourcen zuständig, sei es durch die Arbeit auf gemeinschaftlichem Land, die Betreuung von Weideflächen oder das Sammeln von Holz in den Wäldern. Mit dem Aufkommen des Kapitalismus und der Einführung von Privateigentum wurden diese gemeinschaftlichen Strukturen zerstört. Federici zeigt auf, dass der Verlust der «Commons» nicht nur eine materielle Enteignung war, sondern auch die soziale Stellung der Frauen schwächte. Dieser Wandel führte zur Durchsetzung des Ideals der Kleinfamilie, das Frauen in eine ökonomische Abhängigkeit drängte. Ihre Rolle beschränkte sich ab dann auf unbezahlte Care-Arbeit, also Kindererziehung und Haushalt. 

Dies wiederum stärkte das Bild der Frau als Mutter. Oder nach Federici: Die Frauen blieben «durch Schwangerschaften in patriarchalen Strukturen gefangen.» Verhütung ist also gewissermassen das «Gegengift» zur Kernfamilie: Sie unterbricht den «natürlichen» Lauf der Fortpflanzung. Entsprechend eignen sich kinderlose Frauen, ob freiwillig oder unfreiwillig, als Feindbild, was sich in der Charakterisierung der Hexe widerspiegelt. Sie gilt als die Anti-Mutter; einsam, böse, egoistisch. Frauen, die keine Mütter sind, werden suspekt. Die Ehe wiederum wird als Rahmen dargestellt, der das «Böse» bändigt. Im «Hexenhammer» heisst es deshalb: «Wenn die Frau nicht unter der Herrschaft des Mannes steht, wird sie leicht zur Dienerin des Teufels.»