Hier streitet die Redaktion über Reservationen in der Bibliothek

Debatte

20. Februar 2025

Pro – Es war ein Befreiungsschlag für die Nachteulen unter uns, als die Sitzplatzreservation in den Bibliotheken eingeführt wurde. Die Beendigung der Lernplatzanarchie war pandemiebedingt implementiert worden. Aber auch dieses Trauma haben wir langsam verarbeitet und können die wenigen, aber durchaus vorteilhaften Veränderungen dieser Zeit schätzen. Das akademische Überleben einer Nachteule war zuvor daran gebunden, wie gut sie sich in deinen eigenen vier Wänden einer 200-seitigen Ausführung über Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre widmen konntest. Für alle, deren rasselnder Motor von Hirn erst abends warm genug ist, gibt es heute kein Bangen mehr: Ob ich morgen erneut das Weckergeschrei überhöre und die Stosszeit an den Bibliothekspforten verpasse, um im fensterlosen Druckerzimmer den Tisch mit einem stressverschwitzten Ersti zu teilen? Nein, diese Tortur ist vorbei. Heute kann man sogar bis zu einer Woche vorsorgen. Ändern sich deine Pläne, lassen sich die Zeiten stets anpassen – ausser dich hat der Lernphasenwahnsinn erfasst und du reservierst in der BWL-Bib. Aber wenn es so weit gekommen ist, sind Hopfen und Malz bereits verloren. Dass die Debatte um das Reservationssystem polarisiert, zeigte die kürzlich verbreitete Bibliotheksumfrage. Doch wer sich dagegen ausspricht, den mahne ich zur Rücksicht! Nicht nur Nachteulen sind in einer reservationsfreien Lernzone benachteiligt. Denkt ihr denn nicht an die Arbeitstätigen unter euch? Oder die abertausenden Studierenden, die eigentlich gar keine Lernphase haben, sondern ihr Glück schon in der letzten Vorlesungswoche verspielen müssen? Oh, ich bitte euch. Habet Nachsicht. Schliesslich sind von rund 3000 Lernplätzen nur ein Drittel reservierbar. Und wenn du so töricht seist, die Luft der Sitzplatzanarchie doch einmal schnuppern zu wollen, so begebe dich an einem Wochenendtag deiner Wahl kurz vor 9 Uhr zu den Toren der ZB. Good luck, my friend, and farewell. (gen)

Kontra – Das Leben in der Schweiz ist durchgetaktet. Fünf Minuten zu spät? Sorry, der Termin muss nachgeholt (und auch gleich doppelt bezahlt) werden, bei dieser Prüfung fallen Sie leider durch, der Zug hat den Bahnhof vor sechs Minuten verlassen. Keine Gnade. Keine Spontanität. An der Uni herrschen solche Zustände noch nicht. Und das, obwohl sie für viele das Abbild der Bürokratie schlechthin ist. An der Uni ist es noch möglich, zu kommen und zu gehen, wie es gerade passt. An der Uni darf man aufs Klo, wenn man muss, eine Arbeit später abgeben, wenn man will, 12 Semester oder länger studieren, wenn man es braucht. Doch leider macht der Regulierungswahn auch vor diesem heiligen Ort keinen Halt. Mittlerweile gibt es in der Mensa ohne Legi kein verbilligtes Essen mehr; ohne Arztzeugnis keine Fristverlängerung, sei sie auch nur für drei Tage; ohne Handy, das für die Zweifaktorauthentifizierung authorisiert ist, keine Zugang zu Lernplattform oder Emailserver. Der Stock im Arsch hält Einzug. Nun also auch noch Platzreservationen in der Bibliothek, der Ort, wo nichts kontrolliert wird, wo zugleich geschuftet und geschlafen wird, Mates geleert und Arbeiten viel zu spät begonnen werden. Hier sollen wir uns in Einerreihen aufstellen, um nach Aufruf unserer Matrikelnummer zum zugewiesenen Platz zu marschieren, für dessen Reservation wir eine Woche zuvor um 7 Uhr in der Früh aufstehen und uns gegen tausend andere 21- 724-663en behaupten mussten. Wir müssen uns gegen den Verlust des carpe diem wehren, solange es noch möglich ist. Denn wenn es so weiter geht, ist bald alles kategorisiert, was uns lieb ist. Dann heisst es: Wie, du studierst VWL nur im Nebenfach? Tut uns leid, die Hauptfach-Fuzzis haben hier Vortritt. Versuch es doch im Starbucks, da muss man nicht im Voraus reservieren. (lea)