Hier streitet die Redaktion über Frontalunterricht

5. Dezember 2024

Pro – Das Leid fängt bereits in der Primarschule an: Wochenplan. Bereits im Alter von sieben Jahren müssen sich Kinder disziplinieren und Wissen selbst aneignen. Die Schwächeren werden systematisch ausgeschlossen. Im Gymnasium fällt irgendwann das Wort «SOL» und man weiss, dass es um eine*n geschehen ist. Die nächsten Wochen wird man durchgehend prokrastinieren und in letzter Sekunde von einem gütigen Streber*in abschreiben, oder - wenn man Glück hat - mit einer Gruppe im Eiltempo irgendwas hinschludern. SOL steht in Wahrheit für «Schummeln Ohne Lerneffekt». «Selbst Organisiertes Lernen» wird im Studium sowieso verlangt: In der Bibliothek, zu Hause, vor der Vorlesung, nach der Vorlesung. Seien wir ehrlich: Die allermeiste Zeit ist man im Studium mit dem Stoff und den Deadlines auf sich alleine gestellt. Da wo es nicht sein muss, soll man uns doch bitte schonen. Schluss mit den «Buzzgroups», «Murmelgruppen», «Small group learning», «Breakout-Sessions», und wie es sonst noch so schön heisst. Tut mir leid, aber ich möchte in einem Seminar nicht erfahren, was Hans und Julia über Migration nicht wissen. Vor allem dann nicht, wenn anschliessend die Ideen im «Plenum» gesammelt werden und die Professor*in nur zu allem nickt; kein Kommentar, keine Berichtigung. Nach dem Seminar weiss ich genauso viel wie davor. Der Lehrauftrag wird auf die Studierenden abgewälzt. «Die Schüler*innen sollen lernen, ein Thema selbstständig aufzuarbeiten», kurz gesagt: «Mir ist das zu anstrengend, macht’s selbst!» Früher war es nicht besser, aber es war gut. Machen wir jetzt das Beste daraus! Der abwertend bezeichnete «Frontalunterricht» ist kein autoritäres Indoktrinieren, sondern eine Weitergabe von Wissen: Lernen durch gut verständliche Instruktion, üben statt einfach drauf los zu experimentieren, zuhören statt ständig zu diskutieren. (luc)

Kontra – Nach vier Jahren Pädagogischer Hochschule muss ich mich gegen Frontalunterricht aussprechen, sonst würde mir das Diplom gleich wieder entzogen werden. Frontalunterricht ist eine veraltete, elitäre und patriarchale Form der Wissensvermittlung. Für wenige, meist neurotypische, bildungsnahe Personen mag das funktionieren – alle anderen schauen nach zehn Minuten garantiert aus dem Fenster. Das trifft nicht nur auf die Primarstufe zu, sondern auch an der Uni interessieren sich erstaunlich viele mehr für ein kognitives Pingpong zwischen all ihren offenen Tabs auf dem Computer als für die referierende Person. Wieso wird trotzdem so unterrichtet? Es ist am einfachsten. Weder Kreativität noch Einfühlungsvermögen oder viel Lehrpersonal wird benötigt. Ein*e Expert*in steht vorne und 500 Studierende hören zu – in Realität sitzen sie einfach passiv da. Das Höchste der Gefühle ist es, mitzuschreiben oder eine Frage zu stellen. Aber bitte nicht zu viele, sonst kommt man mit dem Stoff nicht durch! Auf individuelle Bedürfnisse kann mit dieser Methode nicht eingegangen werden und das Machtgefälle zwischen Lehrenden und Lernenden bleibt gross. Das Gegenteil von Frontalunterricht ist partizipativer Unterricht: Dabei wird handelndes Lernen gefördert, dazu gehören konkrete Materialien, offene Fragen und Gruppenarbeiten – sogenannte kooperative Lernformen. Sie unterstützen soziales Lernen durch Gruppendynamiken, der starre Frontalunterricht wird dabei aufgebrochen. Gruppenpuzzle, Fishbowl, Kugellager, Placemat sind Beispiele einer endlos langen Liste, die an der PH rauf und runter gebetet wird. Man sollte den Mut haben, sich vom klassischen Frontalunterricht zu lösen und neue Wege des Lernens zu erkunden. Denn schlussendlich dient die Schule dazu, Bürger*innen auszubilden, die aktiv an der Gesellschaft teilnehmen. Also, Lucie, während du fleissig deine Notizen in der Polito-Vorlesung tippst, fronte ich lieber dich als die ganze Klasse. (adi)