Editorial #4/24

Editorial

Erinnern — Die Männer, die über die Titelseite marschieren, sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Das Foto stammt aus dem Schweizerischen Sozialarchiv und zeigt Robert Tobler und Rolf Henne an einem Umzug der Frontenbewegung am 1. Mai 1938. Tobler sass für die «Nationale Front» im Nationalrat und war davor zwei Jahre lang Redaktions­leiter dieser Zeitung. Dabei wissen die wenigsten, wer die Frontist*innen überhaupt waren und was sie mit dem National­sozialismus zu tun haben. 

Mittlerweile mögen sie tot sein, nicht aber ihre Ideen.

In ganz Europa erstarken rechtspopulistische Kräfte, die Fremdenfeindlichkeit propagieren und politische Schlachten auf dem Buckel der Schwächsten der Gesellschaft austragen, so etwa in Italien, ­Österreich oder Deutschland. Doch auch in der Schweiz werden radikale Stimmen immer lauter und bisherige Tabus gebrochen. So erlaubt sich mittlerweile auch FDP-Präsident Thierry Burkart jegliche Missstände im Land der muslimischen Bevölkerung zuzuschreiben und gegen Ausländer­*innen zu hetzen. Geht’s noch? 

Kommt hinzu, dass Bürgerliche einen rein affirmativen Geschichtsunterricht fordern, der sich an nationalistischen Narrativen und Mythen orientiert, während­dessen Zeitzeug*innen des Holocaust aussterben und Desinformation zunimmt. Höchste Zeit, Gegensteuer zu geben. 

Im Interview beleuchtet der Historiker Jakob Tanner die Schattenseiten der Schweizer Geschichte. «Es mangelt an historischem Wissen zur Gewaltgeschichte des Faschismus», sagt er. Ebenso gibt es an der Uni Zürich und der ETH gleich zwei Beispiele, die zeigen, dass es selbst in der Akademie in puncto Aufarbeitung noch Luft nach oben gibt. Die Schule als Spiegelbild der Gesellschaft liefert einen Einblick, wie es um die Zukunft unseres Geschichtsbewusstseins steht. Im öffentlichen Raum wird in den letzten Jahren wieder verstärkt darum gerungen, an wen, wie und wo (nicht) 
erinnert werden soll. Der Stadt kommt dabei eine entscheidende Rolle zu und steht so auch in der Verantwortung.