Kollektive Schockwellen
Generationen – Mein Vater sagt, er werde nie vergessen, wo er war, als das Schweizer Stimmvolk 1992 den Beitritt zum EWR ablehnte. Er sass im Zug und hörte gespannt Radio. Vor dem Bahnhof Stadelhofen blieb der Zug in einem Tunnel stehen und die Berichterstattung stockte kurz. Ein paar Minuten später, bei Ankunft am Bahnhof, wusste mein Vater, dass die Schweiz ein kollektives Nein beschlossen hatte. Der Schock sass ihm tief in den Knochen, für das Land würde der Tag langwierige Folgen haben.
An den Nicht-EWR-Beitritt kann ich mich nicht erinnern, weil ich in den Neunzigern noch nicht auf der Welt war. Mit von der Partie waren meine jüngeren Brüder und ich, als Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde. Wir erfuhren beim Abendessen davon; meine Mutter erzählt immer noch, wie wir Kinder damals im Chor riefen: «Yes, we can!» Acht Jahre später erfuhr ich beim Frühstück im Klassenlager von Donald Trumps Wahlsieg. Ein Klassenkamerad stürmte ins Zimmer und rief: «Es isch eifach de Trump!»
Politik war uns Vorpubertierenden zwar noch ein Rätsel, doch die Aufregung war riesengross. Entsprechend würde Trump in den nachfolgenden Jahren unser aller Weltbild prägen (Boomer und Generation X mitgemeint!). Die Nachricht von Kobe Bryants Tod wiederum, die für meinen kleinen Bruder (Gen Z) verheerend war, haben meine Eltern nie mitbekommen, da sie nicht wissen, was die NBA ist. Wir alle erinnern uns aber genau an den Freitag, an dem der Bund den Corona-Lockdown ausrief. Schockiert waren wir alle, doch auf andere Arten.
Wir Kinder jubelten im Chemie-Unterricht über die zwei angekündigten schulfreien Wochen. Mein Bruder sass in der letzten Reihe, Bleistift in der Hand, und konnte sein Glück kaum fassen. Dass uns diese Zeit bleiben würde, als eines der Geschehnisse, das die heute lebenden Generationen zusammen durchmachten, wussten wir noch nicht. Uns beschäftigte an diesem Abend vor allem das Verhalten einer Mitarbeiterin meines Vaters: Sie war eine der ersten, die nach Ansage des Bundesrats die Flucht aus dem Büro ergriff. Dies nicht etwa, weil sie Angst vor dem Virus hatte. Nein, sie musste auf schnellstem Weg zum Friseur, um nicht mit ungefärbtem Ansatz in den Lockdown zu starten. Während dem Lockdown wurden wir einander immer ähnlicher.
Gemeinsam gingen wir spazieren, kochten und gewöhnten uns an den Geschmack von Pastinakensuppe, und meine Eltern erstellten sich Instagram-Profile, die sie nach zwei Tagen wieder löschten. Boomer sind nicht Millennials sind nicht Gen Z, aber so unterschiedlich sind wir gar nicht. Wir erleben schliesslich alle dieselbe Welt. Take notes, NZZ-Redaktion, @yaelmeier und economiesuisse! Ein Hoch auf unsere Gemeinsamkeiten.