Brandung im Sturm

Kolumne

2. Dezember 2023

Kolumne Spätabends, es war ein Donnerstag, fegte eine Böe tausend Blätter durch die Strassen Zürichs. Kein Auto, keine Menschenseele weit und breit. Nur das Rauschen der Bäume war zu hören, das Klappern der Fensterläden und ein Schutzblech einer Baustelle, das im Wind flatterte. Ich war in Wipkingen und musste nach Hause quer durch die Stadt, draussen wütete das Sturmtief «Federico». Und weil ich mich kürzlich entschieden hatte, mich mehr zu Fuss fortzubewegen, dachte ich: Wieso nicht jetzt?

Das Spazieren sollte meinen Alltag entschleunigen. Das ist nun, gegen Ende des Semesters, besonders notwendig. Doch auch abgesehen von der Prüfungsphase finde ich die Studienzeit herausfordernd. Natürlich hat es seine Vorteile: den ganzen Tag kiffen, günstig in der Stadt wohnen und nie an die Uni gehen, alles auf Kosten der Steuerzahler. Nein, im Ernst, lernen zu dürfen ist ein riesiges Privileg!

Doch der Leistungsdruck an der Uni ist hoch, das Geld oft knapp. Und man hat stets tausend Dinge im Kopf: fünf Abgaben, zwei Vorträge, drei Lektüren (für die man am Ende eh keine Zeit findet) und dann noch Prüfungen. Und daneben arbeiten, Wäsche machen, kochen, WG putzen, soziale Kontakte pflegen und die Familie nicht vernachlässigen. Sorry Grossätti, ich hoffe, wir sehen uns bald wieder! Doch es ist nicht nur der Stress. Ich persönlich habe immer wieder meine Struggles mit Ängsten. Und diese werden durch die Zeit, in der wir leben, nicht gerade gelindert. Am 7. Oktober spülte es mir all die grauenvollen Videos der Hamas-Attentate in die Twitter-Timeline (ich bleibe dabei); ich konnte meinen Blick nicht davon abwenden.

Einen Tag später ploppten in meinem Kopf wieder Alltagssorgen auf. Doch wie soll ich auch anders: Hier verändert sich nichts. Die Leute steigen Tag für Tag geordnet ins Tram, gehen eifrig zur Arbeit, und bleiben immer höflich und distanziert, die schöne Schweiz! Und nicht weit weg werden Menschen abgeschlachtet. Und man kann sogar digital dabei sein – im Bett. Wie absurd. Neben der Tatsache, dass mich der Konflikt als Person mit jüdischer Familie mit Fluchtvergangenheit persönlich betrifft, sind es aber auch Zukunftsfragen, die mir zu schaffen machen. Die Medienbranche, in der ich mich später noch am ehesten sehe, steht stark unter Druck. Die grossen Konzerne werfen haufenweise Leute raus, Werbeeinnahmen brechen weg, die Jungen sind «News-depriviert» und informieren sich, wenn überhaupt, über Tiktok. (Wie froh ich bin, dass ich wenigstens diesen Zug verpasst habe). Ich frage mich also: Wohin denn nun, und wie bewahrt man seinen Idealismus?

Ich weiss es nicht. Was ich aber weiss: Ich muss das Spazieren empfehlen! Denn am besagten Donnerstagabend ging ich durch die Stadt, während «Federico» tobte. Alles war wie ausgestorben, nur das Tram Nummer 8 (mein Lieblingstram) tuckerte gemütlich durch den Kreis 4. Pure Idylle inmitten des Sturms. Und zu meiner Überraschung lief mir noch ein Igel über den Weg. Ein toller Abend.