Die goldene Nase verdient sich erst, wer die Praktikantenkluft ablegt. Louise Østergaard

Die vergessene Generation Praktikum

Politik und Gewerkschaften interessieren sich kaum mehr für die Arbeitsbedingungen von Praktikanten. Dabei schuften diese oft zu Hungerlöhnen.

26. April 2013

Hochqualifizierte junge Erwachsene schuften für wenig Geld. Statt nach jahrelangem finanziellem Verzicht endlich gut zu verdienen, bringen sie dem Chef Kaffee oder sortieren Akten – und das zu niedrigsten Löhnen. Vor ein paar Jahren sorgte sich die Öffentlichkeit noch um ausgebeutete Praktikantinnen und Praktikanten. Travail.Suisse, die Dachorganisation der Arbeitenden und Angestellten, stellte eine «zunehmende Praktikarisierung» fest und forderte gesetzliche Leitplanken. Der Begriff «Generation Praktikum» war in aller Munde.

Dann pfiff das Bundesamt für Statistik (BfS) alle zurück. Knapp 18 Prozent der Hochschulabgänger machten laut dessen Studie 2005 ein Praktikum. Nur etwa 13 Prozent derjenigen, die bereits ein Praktikum hinter sich haben, hängen ein weiteres an. Das BfS entlarvte die «Generation Praktikum» als Mythos. Seither ist sie in Vergessenheit geraten. Neue Zahlen fehlen und auch Politik und Gewerkschaften scheinen das Interesse verloren zu haben. Das Thema habe sich verflüchtigt, heisst es bei Travail.Suisse.

Entlöhnung nicht zwingend

Praktika zählen rechtlich zu den Arbeitsverhältnissen mit Ausbildungszweck. Lukaz Grebski, Assistent am Lehrstuhl für Privat- und Arbeitsrecht an der Uni Zürich, sagt, dass mit Ausbilung unter anderem die «Zuweisung geeigneter Arbeit» und die «kritische Besprechung der Leistungen» gemeint ist. Die herrschende Ansicht sei, dass ein Praktikum nicht zwangsläufig entlöhnt werden müsse. Der Lohn richte sich nach abgemachtem Arbeitsvertrag oder im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) festgelegten Regelungen. Damit stünde es schlecht um die Praktikanten.

Eine dieser Praktikantinnen ist Maria*. Die 24-jährige KV-Absolventin macht ein Praktikum bei einem privaten Radiosender als Redaktorin und Moderatorin. Sie hat Berufsmatura, zwei Jahre Erfahrung in der Werbebranche gesammelt und arbeitet nun für 500 Franken im Monat. Das sei schon hart. «Viele Arbeitgeber erwarten, dass Praktikanten noch bei den Eltern wohnen oder zumindest finanziell von ihnen unterstützt werden», sagt Maria. Sie hofft, dass sie nach einem Jahr Praktikum eine Festanstellung erhält: «Für meinen Traumberuf nehme ich es in Kauf, dass ich wenig verdiene.» Von einer seriösen Ausbildung sei beim Privatradio allerdings wenig zu spüren. Das meiste sei «learning by doing», erzählt Maria.

Zwei Welten

Nach der Empfehlung der Medien­gewerkschaft Syndicom sollte ein Praktikant in der Medienbranche einen Mindestlohn von 4‘175 Franken erhalten. Ob ein solcher Traumlohn bezahlt wird, liegt im Ermessen des Arbeitgebers. Die Branche kennt in der Deutschschweiz seit zehn Jahren keinen Gesamtarbeitsvertrag mehr. Thomas Zimmermann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund stellt fest, dass Praktikanten wegen kurzer Anstellungsdauer schwer zu organisieren seien. Er sieht dies mitunter als Grund dafür, dass sich niemand für bessere Bedingungen einsetze. Keine gute Aussichten für Moderatorin Maria.

Ein paar Dutzend Stockwerke höher sind die Aussichten besser. Andreas* ist Masterstudent in Banking and Finance. Er absolviert seit einem Monat ein Praktikum in einer prestigeträchtigen Beratungsfirma. Mit der monatlichen Entlöhnung von 3‘500 Franken ist er zufrieden. «Ein paar anständige Anzüge musste ich allerdings schon kaufen», sagt er und lächelt. In seinem vier Monate dauernden «Lern- und Arbeitsverhältnis» fühlt er sich gut aufgehoben, obwohl die Lernkurve steiler sein könnte.

Andreas entschied sich, sein Studium zugunsten von praktischer Erfahrung zu unterbrechen, und ist mit dem Zeitrahmen ganz zufrieden. «Ich hätte nicht länger als ein Semester aussetzen wollen.» Er könne sich auch vorstellen, sich später bei der Firma für eine Festanstellung zu bewerben.

In der Finanzbranche scheint man Praktikanten also einiges zu bieten. «Im Hochlohnsektor sind die Firmen immer auf gut ausgebildete Angestellte angewiesen», sagt Gewerkschafter Zimmermann. Deshalb sind prekäre Arbeitsbedingungen dort seltener.

Mindestlohn als Chance?

Andreas verdient siebenmal mehr als Maria – trotzdem liegt er noch unter den Empfehlungen der Gewerkschaften. Zimmermann ist Kommunikationsleiter der Mindestlohninitiave. Diese fordert einen Minimallohn von 4000 Franken pro Monat, beziehungsweise einen Stundenlohn von 22 Franken für alle Angestellten in der Schweiz. «Das ist eine Chance, im Praktikumswildwuchs Klarheit zu schaffen und qualitative Anforderungen zu definieren.» Doch falls die Initiative angenommen wird, müsste der Gesetzgeber Ausnahmen von dieser Mindestlohnregelung festlegen etwa für Arbeitsverhältnisse, mit Lerncharakter. Darunter fallen auch Praktika. Was dann geschehen würde, ist offen. Es könnte sogar sein, dass Arbeitgeber mittels Praktikumsstellen die Mindestlohnregelung umgehen würden.

Für die Gewerkschaften vom Tisch

Von 22 Franken pro Stunde kann Maria nur träumen. Andreas hingegen kommt dieser Forderung nahe. Praktikum ist nicht gleich Praktikum. Schwache Regelungen erlauben den Firmen, die Bedingungen festzulegen. Insbesondere dort, wo wie im Medienbereich, hunderte Abgänger der Fach- und Hochschulen auf den Markt drängen, sind die Löhne tief. Viele akzeptieren ihre prekäre Situation, in der Hoffnung, ihrem Traumjob ein Stück näher zu kommen.

Für die Gewerkschaften ist das Problem weitgehend vom Tisch. Und die Politik schiebt strengere Regelungen vor sich her. Vielleicht kommt ein neuer Input ausgerechnet von der Seite, die der Forderung nach Mindeststandards bei Praktika den Wind aus den Segeln genommen hat: Das Bundesamt für Statistik will 2014 neue Zahlen veröffentlichen.

*Name der Redaktion bekannt.