War früher alles besser?
Die ZS lud Studipolitiker der 70er Jahre und das aktuelle StuRa-Präsidium zu einem Gespräch in den Lichthof ein.
Sie waren die letzten Mitglieder einer eigenständigen Studierendenschaft. Ende der 1970er kämpften die Studenten Martin Kurer, Rolf App, Franz Cahannes und René Zeyer gegen den von Erziehungsdirektor Alfred Gilgen eingeleiteten Untergang des Studierendenverbands SUZ. Grund für die Auflösung: Die damals weitverbreitete Angst des Schweizer Bürgertums vor den «sozialistischen Umtrieben» an der Uni. Im Frühjahr 1978 war der Vorgänger der Studierendenschaft VSUZH Geschichte und seine Akteure hatten sich auch untereinander zerstritten. Heute sind die Ressentiments vergessen und die ehemaligen Unipolitiker kehren nach über 30 Jahren für ein Gespräch mit den amtierenden StuRa-Co-Präsidenten Oriana Schällibaum und Tobias Hensel in den Lichthof zurück.
Früher waren alle Studis in der Unipolitik engagiert. Heute ist die Wahlbeteiligung tief und das Präsidium wird still gewählt. War früher alles besser?
Rolf App (A): Das war bei uns nicht anders. Ich hab mich immer gewundert, wie ernst ich von den Politikern genommen wurde, etwa in der Hochschulkommission. Wenn die gewusst hätten, wie wenig Leute eigentlich aktiv hinter uns standen. 15 Prozent Wahlbeteiligung war für uns schon gut.
Martin Kurer (K): Ich habe gelesen, dass 50 Prozent der Studierenden im neuen Verband VSUZH Mitglied sind. Das ist doch fantastisch. Sie haben mehr Support als wir damals! Wir wussten als Einzige, wie schwach wir waren (lacht).
René Zeyer (Z): Damals galten die Spielregeln der Zwangskörperschaft SUZ. Wer nicht wählen ging, war selber schuld.
Franz Cahannes (C): Nach der Abschaffung der Zwangskörperschaft wurden 70 Prozent der Studierenden Mitglied im VSU. Das haben wir allerdings nur geschafft, weil wir die Leute, die sich damals noch persönlich immatrikulieren mussten, abgefangen haben und mit Promis (einem Schwingerkönig und dem damaligen Goalie von GC) Werbung gemacht hatten. Danach ging das schnell bergab.
K: Die Leute waren ja auch angewiesen auf den Verband. Wir hatten die Zentralstelle, die Fotokopierer, den Studententenreisedienst, die Bücherstelle und boten auch kulturell viel.
Z: Im Rückblick ist die Angst vor dem sozialistischen Gebrodel an der Uni lächerlich, aber die linken Gruppierungen waren aktiv. Und da muss ich auch sagen: Ein Phänomen Mörgeli hätte es bei uns nicht gegeben. Ein unqualifizierter Titularprofessor, der jahrelang seiner Tätigkeit nicht nachgeht, wäre spätestens nach einem halben Jahr von der Studentenschaft entlarvt worden. Es hat mich verblüfft, dass da die heutige Studentenschaft so versagt hat.
A propos Mörgeli: Ihr habt euch damals eingemischt und auch die Methoden eurer Profs kritisiert.
C: Wir haben unsere Leute in Seminare von konservativen Professoren geschickt und die haben dann zu jeder Arbeit eine Gegenarbeit geschrieben.
Z: Aufgeschlossene Professoren fanden das auch gut und fragten mich, «was sagt die marxistische Geschichtswissenschaft denn dazu, Herr Zeyer?» Wir hatten den Anspruch, wissenschaftliche Gegenpositionen zu formulieren.
Braucht es die wissenschaftliche Auseinandersetzung noch, oder sind die damaligen Extrempositionen heute Teil des Kanons?
Z: Objektive Wissenschaft gibt es meines Wissens immer noch nicht. Also braucht es die Auseinandersetzung. Die sozialistischen Lager mögen sich aufgelöst haben. Aber an der Notwendigkeit einer kritischen Ausseinandersetzung ändert das keinen Deut. Oriana Schällibaum (S): Die Reflexion darüber, was wir lernen und was gelehrt wird, ist auch heute noch wichtig. Da müssten wir mehr machen.
Waren damals alle Marxisten?
A: Nein, auf keinen Fall. Ich war eher pragmatisch.
K: Sicher nicht, vielleicht wollte man einen politisch Unabhängigen wie mich vorschieben, aber wir haben dann unsere eigene Politik gemacht. Wir mussten uns ja wehren, und da hatten wir mit den Marxisten ein gutes Einverständnis.Weiss man im heutigen Rat eigentlich noch, welche politische Position die Mitglieder des Vorstands haben?
Tobias Hensel (H): Nicht wirklich. Es ist auch nicht mehr so wichtig. Das hat sich aus dem Trauma von vor 30 Jahren ergeben. Der Rat besteht zwar aus Fraktionen, aber um sie herum gibt es viele Gruppierungen aus den Fachvereinen. Da ist immer die Frage, was ist allgemeine Politik? Was ist Unipolitik?
K: Das haben sie uns damals auch weiszumachen versucht! Diese Unterscheidung gibt es gar nicht. Die exakte Trennung der Politik der Welt und der Politik der Uni kann man nicht machen. Nehmen wir das Beispiel des Numerus Clausus. Als wir uns damals gegen ihn wehrten, befanden wir uns in den Unigremien in einer hoffnungslosen Position. Heute ist diese Ablehnung in der Gesellschaft weit verbreitet.
Wie allgemeinpolitisch darf sich die Studierendenschaft äussern? Wenn wir uns zum Beispiel die Diskussion um die Autonome Schule anschauen, die im Rat für einen Eklat gesorgt hat. Das StuRa-Büro, also auch Oriana und Tobias, hatte Bedenken, dass der VSUZH wieder abgeschafft wird, wenn er die ASZ unterstützt.
H: Ich würde mich gerne für die ASZ einsetzen. Aber es ist uns vom Unigesetz her verboten, uns allgemeinpolitisch zu äussern.
K: Wo ist da die Trennlinie? Es gibt den Brief nach Vietnam, der wohl ausserhalb des unipolitischen Mandats liegt. Und es gibt den Kaffeepreis in der Mensa, das ist wohl klar ein studentisches Thema. Aber in der Mitte gibt es doch ein riesiges Gebiet!
H: Ja, aber gerade Fragen wie die der ASZ liegen in einer heiklen Grauzone. Da kann man sich leicht die Finger verbrennen.
Z: Es gibt viele schöne Themen an der Uni. Wissenschaft, Verschulung, studentisches Leben. Wieso soll man die Welt als solche, von Chile bis Grönland, auch noch kommentieren?
K: Hier müssen wir aufpassen. Wir haben das damals auch nicht gemacht und trotzdem hat man uns vorgeworfen, ausserhalb der studentischen Mandate zu politisieren.
A: Es kommt darauf an, wie die Äusserung wahrgenommen wird. Eine Kampagne «Mörgeli muss weg» wäre sicher als allgemeinpolitisch wahrgenommen worden, als Schlag gegen die SVP.
Z: Man darf bei all dem nicht vergessen, dass ihr mit der Uni eine geschützte Werkstatt habt. Ihr könnt euch hier austoben und müsst euch nicht um eure zukünftige Karriere sorgen.
K: Haben die Unibehörden denn heute diese Toleranz?
Z: Die Feindbilder sind doch weg. Es gibt auch keinen Rechts-Links-Kampf mehr an der Uni. Heute kann man sich austoben.
S: Wir haben keinen Erziehungsdirektor Gilgen mehr als Feind und die Uni ist heute eher mit einer riesigen Management-Firma zu vergleichen. Heute ist das abstrakte System das neue Feindbild. Und es ist sehr schwer, herauszufinden, wo man da ansetzen soll.
Es wird oft lamentiert, dass die Studierenden wegen des durchstrukturierten Studiums keine Politik mehr machen. Das stimmt doch gar nicht! Die Studis hätten schon Zeit, aber sie machen eben lieber Party als Politik!
S: Ja, wer die Wahl hat, wählt sicher Party. Viele fühlen sich total machtlos gegen das System. Da ist es einfacher, sich für Party zu entscheiden. Es geht ja auch um die Freiräume, die man sich schafft.
C: Ach, wir haben auch nicht weniger gefeiert. Der einzige Unterschied ist, dass wir keine Clubs dafür hatten und mit WGs Vorlieb nehmen mussten.
Z: Es bringt auch nichts, den Leuten vorzuhalten, sie würden zu wenig machen. Es ist schlauer, wenn man den Leuten die Politik schmackhaft macht und ihnen den Einstieg erleichtert.
Zum Schluss: Was geben Sie den aktuellen Studierendenvertretern für einen Rat mit auf den Weg?
C: Ich will keine Ratschläge geben. Jede Generation muss ihren eigenen Spielraum finden. Man muss sich immer engagieren, auch wenn man alt wird.
K: Die Welt gehört auch heute nicht den Ängstlichen.
A: Seid möglichst aktiv, habt keine Angst, umstritten zu sein.
Z: Einen so schönen Spielplatz findet ihr nie wieder. Ausser, ihr richtet ihn euch ein. Arbeitet euch an an ihm ab und nehmt ihn nicht zu ernst