Ausgrenzende Wohnpolitik
Eine Initiative der Zürcher SVP sieht vor, einen Mietvorrang für Schweizer*innen einzuführen. Zwei Experten der Universität Zürich sehen diesen Ansatz kritisch.
Die Wohnkrise in der Stadt Zürich ist allgegenwärtig und in aller Munde. Zwar sind sich mittlerweile fast alle einig, dass es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt, doch Problemdefinitionen und Lösungsansätze bleiben heiss umstritten. Nun hat auch die SVP eine Initiative zum Thema lanciert: «Recht auf Heimat – Wohnige für eusi Lüüt» fordert einen generellen Mietvorrang für Schweizer*innen im Kanton Zürich. Die Initiative wird von allen Parteien ausser der SVP abgelehnt, ihre Umsetzbarkeit ist unklar. Gleichzeitig lässt sie tief in die Diskursführung der SVP blicken. «Wohnen bedeutet Heimat», erklärt Dominik Ledergerber im Gespräch mit der ZS. Er ist Präsident der SVP des Kanton Zürich und des Initiativkomitees. «Wir haben jetzt mit Schrecken festgestellt, dass Bürgerinnen und Bürger einerseits aus der Stadt Zürich, aber auch aus dem Kanton gedrängt werden.»
Ist das konstruktiv?
Die Lösung soll nun sein, Schweizer*innen einen Mietvorrang zu gewähren. Dabei stellt sich die Frage, wer eigentlich «Schweizer*in» ist und wer Anspruch auf Heimat in der Schweiz hat. Für die SVP ist klar: Bevorzugt werden sollen Personen mit einem Schweizer Pass oder Personen, die seit zehn Jahren im Kanton Zürich leben und demnach auch einen Einbürgerungsprozess durchlaufen könnten. Warum hält die SVP das Kriterium der Schweizer Staatsbürgerschaft als geeignet?
«Wir sehen eben genau den Schweizer Pass als Beleg, dass jemand integriert und im Quartier verankert ist, und dass jemand nicht kriminell ist», sagt Dominik Ledergerber. Dass die SVP sich rassistischer und diskriminierender Narrative bedient, um Politik zu machen, ist mittlerweile ein etabliertes Phänomen, was mit dieser Initiative einmal mehr sichtbar wird. Abgesehen davon, dass die Initiative dem Diskriminierungsparagrafen der Schweizer Bundesverfassung widerspricht, stellt sich die Frage, ob sie wirklich eine konstruktive Lösung für die Wohnkrise präsentiert. Nouri Abdelgadir, der am Geografischen Institut der Universität Zürich im Bereich Sozialgeografie und Urban Studies tätig ist, ordnet die Initiative wie folgt ein: «Die entscheidenden Problematiken werden nicht angegangen.
«Die Wohnraumverteilungsfrage primär über räumliche Identitätskategorien wie Schweizer*in oder Zürcher*in zu denken, greift zu kurz.»
Es ist Fakt, dass es eine Übernachfragegibt.Wennmanaberlediglich dieses Problem in den Fokus rückt, werden alle anderen Faktoren, wie etwa der Einfluss von Grossinvestor*innen oder der fehlende Kündigungsschutz, ausser Acht gelassen.» Die SVP schlägt in der Initiative ausserdem vor, dass der Mietvorrang für Schweizer*innen erst gilt, wenn in der Schweiz mehr als 10 Millionen Menschen leben. Sie verbindet die Initiative also mit einem anderen politischen Projekt: der «Nachhaltigkeitsinitiative» in der «Keine 10-Millionen-Schweiz» gefordert wird. «Ich glaube, dass auch deswegen die Initiative nicht tatsächlich etwas zur Bewältigung der materiellen Wohnkrise beitragen kann», erklärt Abdelgadir. «Denn wenn die Schweiz 10 Millionen Einwohner*innen hat, müssen wir schon andere Lösungen gefunden haben.» Die SVP mache hier mit möglichen Zukünften spekulative Politik, greife gleichzeitig vermehrt linkspolitische Themen auf und lege diese neu aus. Abdelgadir betont, dass durch eine Umgestaltung des Zugangs zu Wohnraum keine neuen Wohnungen entstehen und die Wohnungen auch nicht günstiger werden.
«Die Wohnraumverteilungsfrage primär über räumliche Identitätskategorien wie Schweizer*in, Zürcher*in und Zugezogene zu denken, ohne andere, deutlich relevantere Unterschiede wie sozialökonomischen Status miteinzubeziehen, greift zu kurz.» Kritik erntet die Initiative auch aus rechtswissenschaftlicher Perspektive: «Die Initiative greift in die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie der Vermieter*innen und Eigentümer*innen ein», sagt Daniel Moeckli, Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich. Ein solcher Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit sei nur zulässig, wenn er im öffentlichen Interesse liege und verhältnismässig sei. Diese Voraussetzungen seien aus den bereits genannten Gründen nicht erfüllt. Ledergerber bleibt hier aber unbesorgt: «Wir haben mittlerweile so viele Gesetzes- und Verfassungsartikel, dass es immer zu Widersprüchen kommt. Aber unsere Haltung ist: Wenn eine Initiative demokratisch angenommen wird, dann muss man auf Verfassungsebene Sachen anpassen.»
Zudem bezieht sich die SVP auf ein eigenes Rechtsgutachten, nach dem die Initiative rechtsgültig ist. Das Gutachten ist jedoch nicht öffentlich und wurde auch auf Anfrage der ZS nicht zur Verfügung gestellt. Trotz vieler Kritikpunkte findet die Initiative grossen Anklang. Gemäss Ledergerber läuft die Sammlung der Unterschriften nach Plan. Es ist zu erwarten, dass es zu einer Abstimmung kommen wird.
Obsession Migration
«Es wird dann aber ein politisches Dilemma geben, da von dieser Initiative auch grosse Firmen wie Google, die auf ausländische Arbeitskräfte in der Schweiz angewiesen sind, betroffen wären», erklärt Abdelgadir. Um ebendiese Firmen hier anzusiedeln, sei gerade von bürgerlicher Seite in den vergangenen Jahrzehnten aktiv Standortmarketing und gezielte (Tief-)Steuerpolitik betrieben worden. Da zeige sich das Spannungsfeld der SVP sehr gut, die zum einen eine bürgerliche Wirtschaftspartei ist und zum anderen seit den 1990er-Jahren Antimigrationsthemen aktiv in den Mainstream gebracht hat. Natürlich wären nicht nur sogenannte Expats, die tendenziell über mehr Kaufkraft verfügen, von der Initiative betroffen. Vor allem im Niedriglohnsektor arbeiten viele Menschen, die nach Definition der SVP keine Schweizer*innen sind und somit keine Wohnungen mehr bekommen würden. Abgesehen davon belegen Studien, wie zum Beispiel ein Feldexperiment im Schweizer Wohnungsmarkt im Jahr 2018, dass der Schweizer Wohnungsmarkt enorm von strukturellem Rassismus geprägt ist. Dieser betrifft jene Menschen, die bereits erschwerten Zugang zu Wohnraum haben.
Betroffen sind jedoch nicht nur Erwerbstätige, sondern auch internationale Studierende, mit denen sich die Universität Zürich und die ETH gerne profilieren. Dabei würden neue ausländische Studierende keine Wohnungen mehr bekommen. Aber auch bisherige Mitarbeitende der Universitäten, die keine Schweizer*innen sind, hätten somit einen erschwerten Zugang zu bezahlbarem Wohnraum in Zürich.
Ledergerber sieht hier aber kein Problem: «Diese Menschen bekommen ja eine Wohnung. Aber halt nur zweitrangig. Wenn wir genug Wohnungen haben, dann bekommen all diese Menschen eine Wohnung.» Woher diese leeren und bezahlbaren Wohnungen kommen sollen, lässt er offen. Was sind denn alternative Ansätze der SVP gegen die Wohnkrise, sollte die Initiative wirklich als rechtsungültig erklärt werden oder bei einer Abstimmung scheitern? Ledergerber sieht hier folgendeMöglichkeiten: «Bauvorschriften abbauen, damit der Wohnungsbau leichter wird. Auch das Einspruchsrecht sollte eingeschränkt werden. Ausserdem sollten in der Stadt mehr Hochhäuser gebaut werden.»
Mehr zu bauen ist aber nicht unbedingt nachhaltig, im Gegenteil. Nun stellt sich die Frage, wie diese alternativen Lösungsansätze mit der «Nachhaltigkeitsinitiative» der SVP vereinbart werden können. Ledergerber verweist hier darauf, dass kein Widerspruch vorliegt, weil beide Probleme mit einer «Einschränkung der Migration» zu lösen seien – natürlich. Bei der möglichen Abstimmung der Initiative sollten sich die Wähler*innen deswegen dringend die Frage stellen, wem diese Lösungsansätze eigentlich dienen – der Bekämpfung der Zürcher Wohnkrise oder der Migrationspolitik der SVP.