Die zukünftige Küche ist noch etwas kahl: in den Gängen des verlassenen Wasserspeichers an der Rämistrasse.

Auf dem Grund

Ein stillgelegtes Wasserreservoir aus dem 19. Jahrhundert soll zum neuen Treffpunkt des Hochschulquartiers werden. Der Architekt Michael Stünzi steigt mit uns in die Tiefe.

Liv Robert (Text) und Linn Stählin (Fotos)
9. Mai 2025

Tropfende Decken über pechschwarzen Gängen: Gegenüber der Uni Zürich, unter einem unscheinbaren Wiesenfleck, schlummert das bis vor kurzem vergessene Wasserreservoir. Erbaut im Jahr 1871, nach einer verheerenden Cholera-Epidemie, war es Teil der sogenannten «Kloakenreform», mit der Zürich sein Entsorgungssystem nach Pariser Vorbild neu organisierte. Neben einem modernen Kanalisationsnetz entstanden die unterirdischen Wasserhallen an der Kreuzung der Rämi- und Gloriastrasse und leiteten mithilfe des Pumpwerks am Letten erstmals Frischwasser aus dem See in die Gebäude des Niederdorfs.

Nach mehreren Umbauten und der Umstellung auf eine Druckwasserversorgung legte die Stadt das Reservoir in den 1970er-Jahren still. Im roten Häuschen an der Kreuzung, wo einst der Wärter des Reservoirs wohnte, ist heute eine Kinderkrippe untergebracht. Daran, dass unter ihren Schaukeln Kammern voller Geschichte liegen, die sich langsam in düstere Tropfsteinhöhlen verwandeln, dachte lange niemand mehr. Doch das änderte sich, als die Stadt im Rahmen des Projekts «Hoch­schulgebiet Zürich Zentrum» einen grossen Umbau der Kreuzung plante.

Nachhaltigkeit gewinnt

Neben einer neuen Tramhaltestelle, dem Forum UZH und der Ausweitung der Rämistrasse soll ein Gastronomiebetrieb das Hochschulviertel aufwerten. Für den Bau eines Pavillons auf dem Areal schrieb die Stadt einen öffentlichen Architekturwettbewerb aus. In den beiliegenden Unterlagen der Ausschreibung sei das Reservoir auf den alten Plänen zu sehen gewesen, erzählt Michael Stünzi. Er ist Teil des Architekturbüros «Squadrat», das den Wettbewerb gewann. So ist es umso überraschender, dass es von hunderten Teilnehmenden das einzige war, das die Neunutzung des historischen Reservoirs in sein Projekt miteinbezog. Die Jury hatte einen Neubau erwartet und nahm mit der Erstplatzierung des kreativen Vorschlags ein Risiko in Kauf: Zum Zeitpunkt des Wettbewerbs war der Zustand des Reservoirs noch nicht geprüft worden. «Aus Archiven sind historische Baupläne vorhanden. Doch ob die unterirdischen Wände der geplanten Transformation standhalten würden, war ungewiss», erzählt Stünzi. Beim Gewinnerprojekt soll die Geschichte des Ortes sichtbar und erlebbar bleiben. Statt die rund 150 Jahre alten Backsteinmauern, die damals in Wiedikon gebrannt wurden, abzutragen, ist vorgesehen, die bestehenden Hallen weitgehend zu erhalten. Die historischen Wände, deren Fugenmörtel nach hundert Jahren unter Wasser und fünfzig Jahren an der Luft perfekt ausgehärtet ist, bieten dafür beste Voraussetzungen.

Einen Abriss würde die enorme Mauerstärke unnötig aufwändig machen. Mit der Wiederverwendung der bestehenden Strukturen versprachen die Architekt*innen Nachhaltigkeit, was die Jury überzeugte. Alles, was an Material abgetragen wird, soll beim Aufbau des neuen Projekts wiederverwendet werden. «Hügel mit etwa 45 Grad Neigung sind oft ein Zeichen dafür, dass sich darunter ein Raum verbirgt. Wer sich achtet, findet solche Stellen überall in Zürich», sagt Michael Stünzi. «Unter der Stadt schlummern viele ungenutzte Räume – ein grosses Potenzial für öffentliche Projekte und nachhaltige Entwicklungen.»

Kerzen liegen schon bereit

Das unscheinbare, mit Graffiti besprayte Gebäude wird von Bäumen abgeschirmt. Es ragt nur wenige Meter über die Wiese, reicht jedoch tief in den Boden. «Ursprünglich war nur ein Kiosk geplant», erklärt Stünzi. «Doch aufgrund der Dimensionen des alten Reservoirs wurde das Projekt weiterentwickelt.» Jetzt soll ein Bistro mit Küche und Barbetrieb die alten Gewölbe beleben. Dafür werden zwei grosse Schnitte durch den Boden gezogen, die eine Wegachse bilden und die unterirdischen Hallen freilegen. Somit werden ein Innen- und Aussenbereich für Besucher*innen geschaffen. Auf dem Dach entsteht ein Garten, der gemeinsam mit dem Park des Unispitals die Grünflächen des Quartiers erweitern soll.

Die restlichen Gänge bleiben nach aktuellem Stand vorerst leer und unverändert, für die Öffentlichkeit aber zugänglich. Wer später über ihre Nutzung bestimmen darf, ist momentan unsicher. Noch ist es im Speicher dunkel und die Luft feucht. Ein paar halb abgebrannte Rechaud-Kerzen sind die einzigen Relikte, die die Architekt*innen bei ihrem ersten Besuch fanden. Sie liegen noch immer auf einem kleinen Steinvorsprung. Dass hier bis 2028 ein lebendiger Treffpunkt des Univiertels stehen soll, ist noch schwer vorstellbar. Vor den umfangreichen Umbauarbeiten steht jedoch eine weitere Hürde an: Ende des Jahres sollen die stimmberechtigten Zürcher*innen über das Projekt abstimmen. Ob sie sich von der Umnutzung des historischen Untergrunds begeistern lassen, bleibt ungewiss.