Zum Geleit
Editorial — 100 Jahre ist es her, dass sich zwei Studenten der Universität Zürich an die Arbeit machten und die erste ZS-Ausgabe lancierten. Das Ende des Ersten Weltkriegs lag erst fünf Jahre zurück, der Beginn des Zweiten nur 16 Jahre in der Zukunft, das Europa von damals war noch ein anderes. Und doch gibt es Parallelen zu heute: Ein populistischer Nationalismus war am erblühen, mit der Spanischen Grippe hatte gerade eine tödliche Pandemie die Erdbevölkerung durchseucht und eine Weltwirtschaftskrise stand schon in den Startlöchern.
Auch den Medien ging es nicht allzu gut. Trotzdem wollten es die Redaktoren Hermann Witzthum und Max Paul Schreiber mit einer neuen Zeitung versuchen, damals als Sprachorgan der Studentenschaft der Uni Zürich (SUZ) gegründet. Ob sie wohl ahnten, dass es ihr Blatt zehn Jahrzehnte machen würde? Die ZS hat eine turbulente Geschichte und erweist sich als interessantes Zeitdokument. Um dieses zu erkunden, wurden in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich sämtliche Jahrgänge digitalisiert und auf der Plattform E-Periodica erneut veröffentlicht. Dort können alle seit 2022 auf den reichen Schatz Zeitgeschichte zugreifen.
Zudem haben drei ehemalige Redaktoren der ZS ein Buch herausgegeben, das im August erschienen ist. Dafür haben sie den etwa 50’000 Seiten grossen Fundus durchleuchtet und eine 352 Seiten starke Sammlung zusammengestellt (Seite 24).
Im Buch wird etwa dokumentiert, wie sich die ZS immer wieder neu ausrichtete. So war sie während der 1930er-Jahren rechtsradikal und nach Kriegsende bürgerlich-konservativ geprägt. 1968 forderte sie zusammen mit linken Kräften eine neue Gesellschaftsordnung und blieb von hier an linken Anliegen verpflichtet. Durch das Jahrhundert hiess diese Zeitung mal «Zürcher Student», dann «Zürcher Student/in», später «Zürcher Studentin» und schliesslich «Zürcher Studierendenzeitung» – und stand etliche Male vor dem Aus. Doch sie hat überlebt und heute geht es ihr so gut wie selten. Das muss gefeiert werden!
Die Redaktion hat dieses Semester nicht nur zahlreiche Veranstaltungen geplant, von denen ihr schon gehört habt oder noch hören werdet (die erste ist ein Podium über Social Media und Journalismus am 28. September um 19 Uhr in der Aula der Uni Zürich, kommt vorbei!) – nein, auch die vorliegende Ausgabe ist eine ganz besondere. Nicht allein, weil die Zahl 100 draufsteht, sondern weil wir uns eben auch Mühe gegeben haben, etwas Besonderes zu machen. Dass wir auf ein Broadsheet-Format inklusive neuem Logo und Design gewechselt haben, dürfte euch schon aufgefallen sein. Dass das auch so toll aussieht, haben wir Abhash Mittal zu verdanken, der für uns ein stilvolles und frisches Layout entworfen hat. Dazu mehr auf der nächsten Seite.
Auch inhaltlich erwartet euch einiges. Wir haben diesmal eigentlich zwei ZS’ gemacht. Denn während wir auf unseren üblichen News- und Kulturteil nicht verzichten wollten (die Berichterstattung darf schliesslich nicht aussetzen!), mussten wir unserem Jubiläum schon mal einen separaten Bund widmen: Eine Sammlung alter Texte aus unserem Archiv markiert historische Ereignisse, universitäre Turbulenzen, Gastbeiträge von
Starschreiber*innen wie Max Frisch und Annemarie Schwarzenbach, aber auch beschämende Momente, etwa als der ZS mit den Faschisten sympathisierte.
Dazu kommen eine prächtige Coversammlung, ein Comic-Strip vom Ex-ZSler und berühmten Cartoonisten Ruedi Widmer höchstpersönlich und eine Spezialausgabe unserer Senfseite, mit aktuellen und alten Redaktor*innen – nicht wenige davon heute prominente Medienschaffende.
Der aktuelle Anlass soll auch dazu dienen, über studentisches Engagement zu reflektieren. Dieses wird nicht einfacher: Die ECTS- und marktwirtschaftlich orientierte Universität ist nicht gerade eine Ode an die Musse, ans Kreative, ans Über-den-Tellerrand-Hinausschauen. Umso wichtiger, umso wunderbarer, dass es mit der ZS weitergeht und so auch mit der unabhängigen und kritischen Betrachtung des Schweizer Hochschulplatzes. Denn überall, wo es an differenziertem Journalismus und Innovation fehlt – das lehrt uns die Geschichte, nicht zuletzt unsere eigene –, ist bald die Hölle los.
Nun aber genug geprahlt, schlagt die Seiten um, lest, staunt, versinkt in 100 Jahren ZS! Auf etliche weitere Jahrhunderte!