«Du kommst auf die Bühne und sprühst Funken»
Amber Eve probierte viele Berufe aus – dann packte sie das Strippen.
Geschätzt 60 Frauen und zwei Dutzend Männer wuhuen, als Amber Eve sich das Hemd auszieht. Aus Frack und Fliegen werden Halterstrümpfe und Pasties. Peitsche und Stiefel bleiben. Sie stolziert um einen Stuhl, balanciert auf seiner Lehne und blickt dabei so selbstbewusst ins Publikum, dass man ihr sogar halbnackt und im Spagat in die Augen schauen muss.
Wenige Minuten später schlüpft sie wieder in einen Jumpsuit und damit in die Rolle der Moderatorin. Die Veranstaltungsreihe «Cozy Cabaret» im Basler Lokal Schall & Rauch ist ihr Projekt, genauso wie der «Comic Strip», an dem sie und Kolleg*innen «Tits and Giggles» liefern. Am Abend nach dem «Cozy Cabaret» wird sie als Stripperin Lapdances verkaufen und vier Tage später einen Burlesque-Workshop leiten. 19 Auftritte am Stück. «Ich komme manchmal schon hart an die Grenze, aber Performen ist das Höchste der Gefühle», erzählt sie in einem Gespräch.
Ein Missverständnis führte sie zum Strippen
Schon als Kind stand die gebürtige Allgäuerin- gerne auf der Bühne und tanzte: «Bei einer Ballettprobe – ich war so sechs Jahre alt – bin ich einfach alleine auf der Bühne stehen geblieben, weil ich so geflasht davon war, im
Rampenlicht zu stehen.» Doch bevor sie das Tanzen zum Beruf machte, versuchte sich Amber als Musikstudentin, Grafikdesignerin und Bewegungspädagogin und begab sich auf Weltreise. Im Podcast
«Glitter & Cash», den sie mit Stripperin-Kollegin Noemi Riot aufnimmt, erzählt Amber, wie sie als Backpackerin in Neuseeland einen Job suchte. Ein Freund riet ihr, im Stripclub zu arbeiten- und meinte damit «hinter der Bar». Sie verstand jedoch «an der Stange» und hatte wenige Tage später ihren ersten Auftritt und einen Strippernamen: Amber.
Im Stripclub fühlt sie sich authentisch
Plötzlich fand sich das ehemalige «good girl» in einer Rolle wieder, in der sie ganz bewusst ihre wilde und lustvolle Seite ausleben konnte. «Wir spielen auch sonst im Leben mit Verführung und Reizen. Aber im Stripclub stehen wir dazu», meint Amber.
Noch heute fühle sie sich dort besonders authentisch. Jeden Abend könne sie neu entscheiden, was sie anziehe, wie sie tanze, wer sie sei. Manchmal würde die Musik sie so sehr mitreissen, dass ihr die Tränen herunterlaufen, wenn sie von der Bühne gehe. «Natürlich starren dir einige Gäste nur auf den Arsch. Aber einige spüren genau, was du fühlst.» Für dieses Erlebnis reist Amber regelmässig nach Prag, wo es grössere Stripclubs gibt als in der Schweiz – mit besseren Polestangen und Trinkgeld, das auf die Bühne flattert.
Auf die Energie kommt es an
Im «Cozy Cabaret» muss Amber das Publikum erst ermutigen, bevor es nackte Haut mit einem Jubel quittiert. «Viele glauben, dass sie ein Creep sind, wenn sie mir beim Ausziehen zujubeln oder Trinkgeld geben. Dabei ist das genau andersrum», meint Amber. Je mehr Energie sie vom Publikum bekomme, desto mehr könne sie auch zurückgeben.
Das habe nur teilweise mit einem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu tun: «Wenn mein Ego meine Hauptmotivation wäre, würde ich lieber in Therapie
investieren und mir einen stabilen Bürojob suchen.» Dass sie immer noch performt, liegt daran, dass da noch eine grössere Motivation ist: «Da ist das eine Gefühl, du kommst auf die Bühne und sprühst Funken. Und das Publikum fängt Feuer.»