Sie geben der Bildungsdirektorin eine ungenügende Note: Die Studierenden und Jungpolitiker*innen bei der Überreichung des offenen Briefes an Silvia Steiner am Walcheplatz in Zürich. Carlo Mariani

Studierendenverbände und Jungparteien fordern sofortige Massnahmen im Stipendienwesen

Am Freitagmittag überbrachten Studierende und Jungparteien einen offenen Brief an die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner. Sie wollen kürzere Wartezeiten und höhere Beiträge «gegen das Stipendiendesaster».

27. Januar 2023

Aus einem Lautsprecher spricht eine freundliche Stimme: «Stipendienabteilung des Kantons Zürich, guten Tag. Sie rufen ausserhalb der Telefonzeiten an», heisst es nach dem Signalton. Und weiter spricht der Telefonbeantworter: «Sie müssen auf den schriftlichen Entscheid warten. Bitte fragen Sie erst nach dem Stand Ihres Gesuches, wenn Sie mehr als acht Monate nicht von uns gehört haben.»

Die Aktion auf dem Zürcher Walcheplatz, gleich vor dem Eingang der Bildungsdirektion, sollte auf die Missstände im Zürcher Stipendienwesen aufmerksam machen. Denn Studierende, Schüler*innen und Lehrlinge müssen derzeit im Kanton Zürich ein ganzes Jahr auf einen Stipendienbescheid warten. In anderen Kantonen sind es wenige Wochen bis maximal ein halbes Jahr. 

Die Studierendenverbände der Uni Zürich, der ZHAW und der ZHDK sowie die kantonalen Sektionen den Juso und der Jungen Grünen und die Kripo (kritische Politik an Zürcher Hochschulen) haben deshalb am Freitagmittag der für das Stipendienwesen verantwortlichen Bildungsdirektorin Silvia Steiner einen offenen Brief überreicht. Dieser enthält sechs Forderungen. Unter anderem verlangen die Beteiligten eine Erhöhung der Stipendien und eine schnelle Verkürzung der Bearbeitungszeit der Gesuche auf 50 Tage.

Trotz Sozialhilfe kein Stipendienentscheid

Vor Ort war auch Luzia Brändli von den Juso Kanton Zürich. Sie ist von den Missständen im Stipendienwesen selbst betroffen. Sie wartet seit März 2022 auf den Entscheid des Stipendienamtes. «Ich musste zum Sozialamt, meine WG aufgeben und ins Elternhaus zurückziehen. Ich bin extrem wütend auf die Bildungsdirektion, die auf ganzer Linie versagt hat», sagt die Schülerin der Kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene.

Wie Brändli warten viele andere im Kanton Zürich derzeit auch auf einen Stipendienentscheid. Besonders stossend erscheint, dass Brändlis Gesuch trotz dem Umstand, dass sie aufgrund der langen Wartezeit bereits zum Sozialamt musste, immer noch hängig ist. «Es kann nicht sein, dass Menschen in Ausbildung, die Sozialhilfe erhalten, ein Stipendiengesuch einreichen müssen», meint Moritz Bögli von der Kripo, «da ist der Bedarf doch offensichtlich.»

Bögli sticht bei der Aktion mit einem Messer auf Ballone ein, auf denen Begriffe wie «Studium», «Master» oder «Bildungsgerechtigkeit» steht: Die Zukunftspläne der jungen Menschen platzen wortwörtlich. Kurz darauf kommt eine Mitarbeiterin der kantonalen Verwaltung vor die Tür und nimmt den offenen Brief entgegen.

Umbequeme Missstände vor den Wahlen

Hintergrund der Missstände ist die Anpassung der rechtlichen Grundlagen. Seitdem letztes Jahr die neue Stipendienverordnung und das angepasste Bildungsgesetz in Kraft traten und die Reform offiziell ihren Abschluss fand, verlängerten sich die Wartezeiten für die Antragstellenden enorm. 

Bildungsdirektorin Silvia Steiner, an die sich die Forderungen richten, hatte zuletzt im Dezember 2022 erklärt, das 50-Tage Ziel sei für das Jahr 2023 nicht realisierbar. Trotzdem sprach der Kantonsrat in der damaligen Debatte dem Stipendienamt 2,3 Millionen Franken für eine Beschleunigung der Verfahren zu.

Ob das wirkt, bleibt offen. Jedenfalls ist die Situation im Stipendienwesen für Steiner gerade sehr unbequem. Sie will nämlich am 12. Februar wieder in den Regierungsrat gewählt werden. Ihre Wiederwahl gilt als unsicher: Sie lag in einer Tamedia-Umfrage gleichauf mit ihrer Herausfordererin, SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf.

Live-Ticker auf Twitter

Die ZS tickerte bei der Aktion live auf Twitter.