Philip Frowein

Elf Altbundesrätinnen und eine Verschwörung

Kulturspalte

28. Oktober 2022

Theater —Verschwörung im Bundeshaus! Das Ziel: Abwahl eines Bundesrates. Mit «EWS» wird im Theater Neumarkt ein in der Schweiz einmaliges Polit-Ereignis gewitzt und mit lebhafter Ironie inszeniert. Die Hauptfigur ist elfmal Altbundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf.

In einem grau eingerichteten Büroraum, der Nationalratssaal, SRF-Arena und Arbeitsort zugleich ist, klingelt das Telefon: «Für Eveline!» Ratlos schauen sich elf Dar-steller*innen in grauen Kostümen mit der medial viel kommentierten Frisur an. Welche der Eveline Widmer-Schlumpfs soll den Anruf entgegennehmen? Den Fokus legt das Regie-Duo Piet Baumgartner und Julia Reichert klar auf die frisch gewählte Bundesrätin. Die restlichen zentralen Persönlichkeiten des damaligen Geschehens sind zwar nicht als gesonderte Figuren auf der Bühne, kommen im Laufe des Abends aber trotzdem vor, vor allem im Dialog der elf Evelines. Damit man Ursula Wyss oder Ueli Maurer auch im grauen Rock wiedererkennt, empfiehlt sich ein Blick in die Zeitungen von 2007 – oder zumindest in die SRF-Doku «Die Abwahl von Christoph Blocher – Die Geheimoperation im Bundeshaus».

Wie angepriesen thematisiert «EWS» im Laufe des Stücks das Phänomen von Frauen an der Macht. Die Regieleitung zeigt eine fleissige, unscheinbare und hocheffiziente Eveline Widmer-Schlumpf, die sich bemüht, jede Persönlichkeit abzulegen und nur noch Politikinhalte von sich zu geben, und eine Öffentlichkeit, die sie für ebendies liebt und zugleich hasst. Produktiv, fast maschinengleich, muss sie sein, um sich den Respekt der Kollegen zu sichern, und doch wird sie nicht selten als «dossiersicher» bezeichnet, als wäre es eine Beleidigung. Entledigt sie sich jedoch all ihrer Menschlichkeit, ist sie unnahbar und kalt. Kurz: Eine Frau als Bundesrat ist in diesem Stück ein gefundener Frass für Medien und Opposition. Spätestens bei der Einblendung der Geschichten der drei Bundesrätinnen, die vor Widmer-Schlumpf kamen, wird klar, wie Politikerinnen in der Schweiz zu sein haben: effizient, bestimmt, grau. Frau oder eben nicht-Frau.

Hervorzuheben ist besonders der Auftritt von Schauspielerin Lara Stoll. Ob sie am Rednerpult übt, wie man «SVP» ausspricht, oder als Christoph Blocher melancholisch der Konkordanz nachtrauert: Den Zuschauer*innen bleibt nichts anderes übrig, als herzhaft zu lachen. Ähnlich ist es mit dem Rest des Stücks. Egal wie man zum politischen Drama von 2007 steht, «EWS» beschert allen einen heiteren Abend.  «EWS» nimmt sich nicht zu ernst, und regt doch zum Denken an.

So knöpft sich das Stück mit einer ordentlichen Portion Witz alles und jede*n vor. Die SVP und den abgewählten Blocher kritisiert es für eine Hetzjagd auf eine gewählte Bundesrätin, der gesamten Linken unterstellt es die überfanatische Verteidigung einer SVP-Politikerin. Gegen Ende trägt eine Eveline ihre Politikinhalte vor und fragt provokativ: «Was ist denn genau der Unterschied zwischen Eveline Widmer-Schlumpf und Christoph Blocher?» Auch die Medien mit ihrer dramatischen Darstellung der Ereignisse im Mikrokosmos Bundeshaus kommen nicht ungeschoren davon. Eveline Nummer 5 fragt: «Zerbricht hier die Zivilisation Europas?» Das Publikum lacht erneut. Denn «EWS» entpuppt sich als erheiternder Thriller: eine gelungene Inszenierung eines Politspektakels in einem Land, wo Persönlichkeitspolitik und Drama nicht zum guten Ton gehören.

«EWS» wird noch bis am 28. Januar im Theater Neumarkt aufgeführt.