Nora Gsell

Duell: Online Kommentare

Bekanntheiten aus aller Welt und Zeit duellieren sich zu ausgelosten Themen.

25. Oktober 2014

PRO: Jane Austen

Online-Kommentare zu schreiben, ist sicherlich der beste Balsam für die Wunden einer enttäuschten Liebe. Alle Gefühle, alle Gedanken, einfach alles rauslassen. Wir sollten uns nicht zügeln, sondern zeigen, was wir spüren und denken. Denn sonst leben wir wieder wie im Jahre 1811 – und dahin will niemand zurück. Damals musste ich meinen ersten Roman «Sense and Sensibility» noch unter dem Pseudonym «by a lady» veröffentlichen. Denn Frauen war es nicht erlaubt, ihre Meinung zu äussern, und unter Männern war es verpönt, sein Herz auszuschütten. Alle hatten einen Stock im Hintern. Heute ist zwar im Netz mit Hasskommentaren zu rechnen, aber das ist verglichen mit der Gefühlskälte des 19. Jahrhunderts das kleinere Übel. Damals wurden alle Freuden durch Warten und Zögern verdorben, immer ging es nur um das Geschäft.

Früher zählte auch nur, was die Ladies und Lords wünschten. Heute können alle mitreden in den Kommentarfeldern des grossen, weiten Netzes. Anonym oder mit Namen, gehässig oder erfreut: Die echte Redefreiheit gibt es erst seit dem Internet. Denn online sind alle gleich. Wäre das früher schon so gewesen, hätten die Menschen ein weiss Gott glücklicheres Leben gefristet. Dann hätte ich vor 200 Jahren nicht schreiben müssen: «Glück in der Ehe ist allein Sache des Zufalls.» Dann hätte es stattdessen geheissen: «Glück in der Ehe ist allein Sache der richtigen Wortwahl.» Denn beim Kommentieren wird schnell klar, wer zu einem passt. Man stelle sich vor, die Userin Lizzy_Bennet kommentiert auf Guardian Online: «Die Schotten können von Glück reden, dass sie bei uns geblieben sind.» User Mister_Darcy antwortet: «UK forever!» Das könnte der Beginn einer grossen Liebesgeschichte sein. Also lassen wir das mit unserem Stolz und unseren Vorurteilen und kommentieren wir uns zum Glück. Aber eine Lady hält sich immer an die Regel: Wenn du nichts Schlechtes über einen Anderen zu sagen weisst, dann sage lieber überhaupt nichts. [nik]

CONTRA: Friedrich Nietzsche

Du gehst ins Internet? Vergiss die Peitsche nicht! Diesem Imperativ, so scheint es mir, folgen die Menschen, die unter jede Onlinepublikation ihre Meinung setzen müssen. Freie Meinungsäusserung ist an sich nichts Verwerfliches. Jedoch: Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie Kühe auf der Wiese. Und nirgendwo kann man das besser sehen als im Internet, dem vermeintlichen Hort der Meinungsfreiheit. Denn: Unsere Meinung, das ist die Haut, in der wir gerne gesehen werden wollen. Will meinen: Niemand hat wirklich eine freie Meinung. Die Massen, das sind nichts als verschwimmende Copien der grossen Männer. Jeder beugt sich einem Schmarotzer gleich irgendeiner Ansicht, einer Vorgabe von oben, die er an in die Öffentlichkeit trägt. Und diese ist in den seltensten Fällen wirklich qualifiziert. Wie viele Schwätzer treiben im Internet ihr Unwesen! Wie viel Überdruss! Und immer läuft es in denselben Bahnen, bald enden solcherlei Diskussionen immer mit dem Verweis auf die dunkelste Stunde unserer deutschen Geschichte ... obwohl ... dazu sage ich jetzt lieber nichts, sonst dichtet man mir womöglich fälschlicherweise noch etwas an.

Zurück zum Thema: Was interessiert mich irgendwelches schlecht dahingeschriebenes Halbwissen? Was will ich mit blindem Hass eines Schwätzers, der sich hinter einem Pseudonym verkriecht und seine kümmerlichen Ansichten in den Äther hinausbläst? Als ich damals den Tod Gottes verkündete, bin ich auch mit meinem Namen dafür hingestanden! Onlinekommentare, das ist der Abgrund, von dem ich geschrieben habe: «Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.» Denn wahrlich: Wer sich eine längere Zeit dazu herablässt, eines jener Wortgefechte, die sich «Diskussionen» schimpfen, zu verfolgen, der erkennt die tiefsten menschlichen Abgründe. Der erkennt Neid und Eifersucht – die Schamteile der menschlichen Seele. Wer so etwas schreibt, der wird kein Übermensch. Wer so etwas schreibt, der geht zugrunde. Schlimmer, als ich es je vermocht habe.

Hat man mich verstanden? [jol]