Samuel Nussbaum

Allein gegen den Plagiatsverdacht

Eine beschuldigte Studentin stösst auf verschlossene Türen – die ZS auf taube Ohren.

18. September 2014

Es ist ein Mittwoch im November. Studierende schreiten in winterlicher Montur durch die Gänge des Uni-Hauptgebäudes. Angespannt sitzt Laura* vor der Tür des Raumes KOL-F-102 im hundertjährigen Bau. Hinter der Tür befindet sich das Büro des «Vereins studentische Rechtsberatung» (Rebeko). Die ehrenamtliche Rechtskommission bietet Studierenden unverbindliche rechtliche Beratung. Laura wartet bereits seit einer Stunde. Schliesslich wurde auf der Homepage explizit darauf hingewiesen, dass man laufende Beratungen nicht durch Klopfen stören solle. Zwei Stunden die Woche wenden Jus-Studierende ab dem 5. Semester für die rechtlichen Sorgen und Nöte ihrer Kommilitonen auf. Doch Laura hat heute Pech. Nicht zum ersten Mal in diesem Semester. Sie kam in der Hoffnung hierher, Hilfe in ihrem Disziplinarverfahren zu erhalten. Denn sie wird eines Plagiats beschuldigt.

Besprechung als Anklage

Am 13. November 2013 erreicht sie nur wenige Tage nach der Abgabe ihrer Semesterarbeit in einem Seminar im Nebenfach «Neuere Deutsche Literatur» eine E-Mail ihres Dozenten. Er lädt sie zu einem Gespräch ein. Laura vermutet so kurz nach der Abgabe nichts Gutes.

Im Deutschen Seminar erwarten sie ihr Dozent sowie dessen Kollege, der sich zur Protokollführung bereitstellt. Die Besprechung wird zur Anklage. Laura habe klar plagiiert. In ihrer zwölfseitigen Arbeit habe sich bei der Prüfung mit der Software «Docoloc» eine unredliche Übereinstimmung mit einer existierenden Arbeit gezeigt. Laura weiss, dass sie etwas schludrig geschrieben hat. Sie weiss, dass sie nicht streng nach dem Merkblatt der Abteilung Neuere Deutsche Literaturwissenschaft gearbeitet hat: Bei gewissen Paraphrasierungen fehlen Angaben, an einer anderen Stelle hat sie nur in einer Fussnote auf den Originaltext verwiesen. «Im Lernstress für die Semesterendprüfungen stand ich unter hohem Druck und hatte keinen Kopf mehr für mein kleines Nebenfach», erklärt sich Laura. Dass sie aber betrogen und «fremdes Gedankengut als eigenes» ausgegeben hätte, wie dies die Definition des Plagiats in der Disziplinarordnung der Uni Zürich erfordert, ist ihr nicht bewusst.

Klares Urteil

Ihr Dozent informiert sie darüber, dass sie das Seminar nicht besteht und ein Disziplinarverfahren via Universitätsleitung eröffnet werde. Auf die Frage Lauras, wieso der Rest der Arbeit unkorrigiert aussehe, antwortet er: «Hätte ich genauer hingeschaut, hätte ich bestimmt noch mehr gefunden.» Als sie sich nach ihrer rechtlichen Lage erkundigt, zucken die beiden Dozenten mit den Schultern. Sie weisen sie darauf hin, dass sie sich bestimmt beim Universitätsanwalt noch werde erklären können. Ihre Schuld scheint für Lauras Dozent bereits klar erwiesen, das weitere Vorgehen eine reine Formsache. Auf Anfrage nach Klärung teilt der Dozent der ZS mit, dass er aus Vertraulichkeitsgründen nicht antworten dürfe.

Nach der viertelstündigen Besprechung steht Laura wieder im verrauchten Eingang zum Gebäude an der Schönberggasse 9, den Kopf neblig vom zu schnellen Einrühren neuer Gedanken. Zuhause informiert sie sich auf der Uni-Homepage über den Umgang mit Plagiaten, liest die Disziplinarordnung.

Die Bestrafung bei Plagiaten reicht von einem schriftlichen Verweis bis zu einem Ausschluss für bis zu sechs Semester. Wo genau in diesem Spektrum sie sich einzuordnen hat, kann Laura nach der kühlen Begegnung mit ihrem Dozenten nicht abschätzen.

Fehlende Anlaufstellen

Laura sieht sich in ihrer Unsicherheit nach Hilfe in rechtlichen Belangen an der Universität um. Die Liste der Beratungsstellen an der Universität ist lang. Darunter findet sie die «Rebeko». Jeden Mittwoch während der Vorlesungszeit kann man sich während zwei Stunden über Mittag beraten lassen. Doch Laura sitzt nach einer Stunde noch immer vor der Tür. Als ihre Geduld zu Ende ist und sie versucht, die Tür zu öffnen, merkt sie, dass sie verschlossen ist. In einem Nachbarbüro wird ihr mitgeteilt, dass die Freiwilligen in der Mittagspause seien.

Die ZS sprach die Rebeko per E-Mail auf den Vorfall an. Eine andere Möglichkeit der Kontaktaufnahme bietet der Verein nicht. Dieser hat aber bis Redaktionsschluss nicht darauf reagiert. Ein schwacher Trost: Die Arbeit des Vereins ersetzt nach eigener Angabe auf der Homepage eine professionelle Rechtsberatung nicht – diese suchen Studierende an der Universität aber ebenfalls vergeblich.

Laura wandte sich an das Büro des Universitätsanwalts Prof. Ulrich Haas, um sich über ihren Fall Klarheit zu verschaffen. Schliesslich vertritt er auch ihre Interessen, nebst denen der Universität und des klagenden Dozenten. Sie wird darauf verwiesen, dass zu laufenden Verfahren keine Stellung bezogen werde.

Der Universitätsanwalt liess der ZS über sein Sekretariat mitteilen, dass er die offenen Fragen, wie etwa nach der Verhältnismässigkeit eines solchen Verfahrens, nicht beantworten werde. Ob die rechtlichen Beratungsmöglichkeiten der Studierenden an der Uni genügend sind, bleibt ebenfalls unbeantwortet. Auch zur eigenen Rolle schweigt sich der Lehrstuhl Haas aus. Der Unianwalt untersucht in der Regel den ihm aufgetragenen Fall und kann diesen mit einem Verweis eigenmächtig abschliessen. Dagegen kann ein Rekurs angestrebt werden. Prorektor Christian Schwarzenegger betont gegenüber der ZS, dass die Rechte der Studierenden jederzeit gewahrt sind und diese auch ein Recht auf einen Beistand haben. Laura erkundigt sich beim Sekretariat Haas’, wer für einen Beistand in Frage käme. Ihr wird die freie Wahl bestätigt. Sie wird aber auch dazu angehalten, durch das Einschalten eines Anwalts das Verfahren «nicht ungebührlich» zu verzögern.

Sieg der Vernunft

Einen Monat nach Lauras Gespräch mit ihrem Dozenten erreicht sie ein Brief des damaligen Rektors ad interim, Otfried Jarren. Darin wird sie informiert, dass er aufgrund der Beschwerde des Dozenten den Universitätsanwalt auffordern müsse, ein Verfahren zur Klärung der Sachlage gegen sie zu eröffnen. Darauf erhält sie eine Vorladung zur Befragung am 12. Februar. Laura steht kurz vor dem Bachelor-Abschluss und bangt um ihr letztes Semester. Die Besprechung verläuft schliesslich sachlich; Haas hält die Balance zwischen den Parteien Universität, Dozent und Studentin. Laura ist nach Monaten der Anspannung müde und abgeklärt, weiss nicht, was sie zu erwarten hat.

Zwei Wochen später hält sie den erlösenden Brief, die Verfügung des Universitätsanwalts, in den Händen. Sie wird darin zwar schriftlich verwiesen, denn in ihrer Arbeit gibt es durchaus falsche oder fehlende Nachweise. Aus der Untersuchung von Haas geht aber hervor, dass «die paraphrasierten Teile eher gering und von untergeordneter Natur» sind. Die Arbeit, aus der die paraphrasierten Teile stammen, hat sie zudem im Literaturverzeichnis angegeben und an anderen Stellen korrekt zitiert.

Die Verfügung des Unianwalts zeugt von einer vernünftigen Betrachtung der Sachlage. Die Bagatelle wird mit dem Mindeststrafmass abgehakt. Dem Dozenten fehlte diese gelassene Sichtweise offenbar. Obwohl ihm die Möglichkeit, ein Verfahren zu eröffnen, durchaus offen steht, hätte er sich auch damit begnügen können, Laura nur durch den Kurs fallen zu lassen. Die Konsequenz für Laura war eine starke und vermeidbare Belastung. ◊

*Name geändert

*** Update 25.09.2014 ***

Sandro Knecht, Präsident der Rebeko, schrieb der ZS nach Redaktionsschluss der Ausgabe #4/14, dass er sich im Namen des Vereins für den Vorfall entschuldige. Dass niemand zur Beratung verfügbar ist, sei nicht der Regelfall. Sandro führt weiter aus, dass durchschnittlich 5 Studierende pro Mittwoch im Semester mit unterschiedlichsten rechtlichen Problemen, etwa im Miet- oder Arbeitsrecht, den Weg zur Rebeko finden. Auch würde er einen professionellen Rechtsdienst für Studierende sehr begrüssen. Häufig, sagt Sandro, wäre eine solche von den Studierenden gewünscht. Die Rebeko darf aber eine Beratung im Sinne einer Rechtsvertretung nicht anbieten.