Wo Praktikanten das Sagen haben
Bei der Firma Association ContentMakers erhalten die Praktikantinnen und Praktikanten so gut wie keinen Lohn. Trotzdem sind sie zufrieden.
Hundert Franken. So viel erhält Praktikant Roberto jeden Monat für seine Arbeit. Das hört sich an wie der Fiebertraum eines neoliberalen Unternehmers. Dabei verspricht das Motto der TV- und Multimediaproduktionsfirma, in der der 19-Jährige seit letztem Herbst sein einjähriges Praktikum absolviert, alles Andere als Ausbeutung: Selbstverwaltung statt Chefs und Anweisungen von oben.
Die Association ContentMakers (ACM), zwischen Coca-Cola-Fabrik und Autobahnausfahrt in der ebenso schmutzgrauen wie trostlosen Brüttiseller Industriezone gelegen, wird ausschliesslich von elf Lernenden, Praktikantinnen und Praktikanten geführt und verwaltet. Hierarchiestufen sind nicht vorhanden, und so übernehmen letztere Aufgaben jenseits von «Hol mal en Kafi!».
Gleichwertige Arbeitsaufteilung
Diesen serviert Jeremie, der dienstälteste und erfahrenste Lernende. Er wirkt um einiges älter, als es seine 20 Jahre vermuten liessen. Mit der Souveränität und dem Elan eines gesetzten Geschäftsführers erklärt er den Aufgabenbereich des Unternehmens (siehe Infobox), präsentiert seine aktuellen Projekte und gibt Auskunft über die Geschäftsphilosophie: «Bei der Verteilung der Aufträge spielen Position oder Arbeitsjahre der Mitarbeitenden keine Rolle. Es zählt einzig das persönliche Engagement und Können.»
Die ACM ist stark gemeinschaftlich geprägt: Alle sind für alles verantwortlich. Auch Praktikantinnen und Praktikanten sind somit in geschäftliche Entscheidungsprozesse integriert und bestimmen die Richtung des Unternehmens mit.
Erfahrungsbonus
Im Büro wird an diesem Freitagmorgen fleissig gearbeitet. Die Praktikantinnen und Praktikanten sitzen vor ihren Computern und arbeiten die Aufträge ab. Unter anderem wird in der ACM die Jugendsendung VideoGang, die etwa auf Tele Top und immer häufiger im Social-Media-Bereich positioniert wird, produziert.
Roberto erklärt, dass er momentan hauptsächlich dabei sei, die komplette Sendeleitung von VideoGang Schritt für Schritt zu übernehmen. Dazu gehört die Planung der Redaktionssitzungen, das Delegieren der verschiedenen Aufgaben für die Produktion und die Organisation jeglicher Schritte, die für die Fertigstellung der Sendung nötig sind. «Ich lerne jeden Tag mehr dazu. Mit der Unterstützung eines Coaches kann ich den Überblick über die Sendung behalten und deren Management gut in den Griff bekommen», sagt der Praktikant, der seit diesem Frühling auch Sekretär im Vorstand ist.
Trotz der Unterstützung durch erfahrenere Mitarbeitende und ausserbetriebliche Coaches aus der Medienbranche sind die Praktikantinnen und Praktikanten letztlich selbst für ihre Produkte verantwortlich.
Auch Alessandro (17), der zu den jüngsten Praktikanten bei der ACM gehört, musste schnell lernen, was Eigenverantwortung bedeutet. Er sei anfangs ein wenig überfordert gewesen, gleich richtige Aufträge zu übernehmen. Vor ein paar Monaten habe er noch nicht einmal gewusst, wie man ein geschäftliches Telefongespräch führt. «Hier lernte ich das innerhalb von kurzer Zeit.» Für seine kaufmännische Lehre, die er nach seinem Praktikum beginnt, sei das ein grosser Vorteil: «Ich habe das anderen dann schon voraus.»
Neben der Arbeit an den Projekten bekommen die Praktikantinnen und Praktikanten Einblick in Geschäftsadministration und Firmenführung. Bei den regelmässigen Unternehmenssitzungen sind sie auf Augenhöhe mit den Lernenden. Sie können sogar in den Firmenvorstand gewählt werden.
Höherer Lohn ist nicht möglich
Die Brüttiseller Bude gilt als gutes Sprungbrett in die Branche. Ihre ersten Schritte machten hier etwa die Fernsehmoderatorin Viola Tami oder der ehemalige Radio-Energy-Kopf Jonathan Schächter.
So sehen auch Roberto und Alessandro ihr Praktikum vorwiegend als Vorbereitung auf ihre berufliche Zukunft, ihr Lohn sei ihre gemachte Erfahrung.
Am mageren Praktikumseinkommen ändert dies indes nichts. «Das macht mir überhaupt nichts aus», antwortet Roberto auf die Frage, was er von den hundert Franken hält. Es reiche für den täglichen Arbeitsweg mit dem Zug, und das sei okay. Er wusste von Anfang an, dass mit seinem einjährigen Praktikum kein Geld zu machen sein würde; das wurde gleich beim Bewerbungsgespräch mit Jeremie klargestellt. «Ich wohne noch zuhause und habe kein Auto. So funktioniert es eigentlich recht gut.»
Dass die ACM ihre Praktikantinnen und Praktikanten nicht besser bezahlen kann, liegt am Geschäftsmodell. Die Löhne und alle anderen Kosten werden einzig durch die Aufträge gedeckt. Diese müssen die Mitarbeitenden selbst akquirieren und da bleibe am Schluss nicht viel Geld übrig. «Wir würden den Praktikantinnen und Praktikanten gerne höhere Löhne bezahlen», sagt Jeremie. Dazu wäre die Firma aber auf mehr Einnahmen angewiesen. «Sollten wir jährlich Aufträge für höhere Beträge erhalten, würden die Löhne selbstverständlich steigen.» Aber die finanzielle Situation lasse dies momentan einfach nicht zu. Im Moment würden die Leute bei der ACM von ihren Erfahrungen und Referenzen profitieren.
Für Alessandro indes geht der Lohn mehr als in Ordnung. Da er bis vor Kurzem noch zur Schule ging, seien die 100 Franken pro Monat für ihn «schon noch viel Geld.»