Christoph Senn

Sorgenbox

Historische Persönlichkeiten äussern sich zu Studiums-Sorgen. Dieses Mal: Rudi Dutschke.

25. November 2009

Lieber Rudi,

ich fühle mich von neoliberalen Wirtschaftsmächten instrumentalisiert. Kannst Du die Antwort geben, wie man möglichst schnell eine Revolution herbeiführen kann?

Michael Baumann

Es gilt erst einmal, ein Bewusstsein des Missstandes zu schaffen. Frag nicht gleich nach der Antwort. Ein Dutschke will keine Antwort geben. Das wäre genau die manipulative Antwort, die ich nicht zu geben bereit bin. Denn was soll es bedeuten, als einzelner Antwort zu geben, wenn die gesamtgesellschaftliche Bewusstlosigkeit bestehen bleibt?

Revolution ist kein kurzer Akt, wo mal etwas geschieht und dann ist alles anders. Revolution ist ein lang andauernder Marsch und Prozess, um die Schaffung von Menschen, die fähig sind, nicht eine Clique durch eine andere zu ersetzen, sondern massenhaft Demokratisierung von unten, bewusste Produzenten-Demokratie entgegen zu setzen, bürokratischer Herrschaft von oben. Strukturiert den Transformationsprozess als Prozess der Bewusstwerdung, der an der Bewegung Beteiligten und schafft so die Voraussetzung, dass die Elite euch nicht mehr manipulieren kann.

Der Mensch ist keinem blinden Spiel von Zufällen der Geschichte unterworfen. Ihr seid nicht hoffnungslose Idioten der Geschichte, die unfähig sind, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Das haben sie euch jahrhundertelang eingeredet. Die Geschichte ist nicht ein ewiger Kreisel, wo nur immer das Negative triumphieren muss. Macht vor dieser Möglichkeit nicht Halt und sagt: «Wir schaffen es nicht. Irgendwann geht diese Welt zu Ende.» – Ganz im Gegenteil, ihr könnt eine Welt gestalten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Die sich dadurch auszeichnet, weder Hunger noch Krieg zu kennen. Das ist eure geschichtliche Möglichkeit!

Rudi Dutschke, *7.3.1940 in Schönefeld † 24.12.1979 in Arhus, Dänemark an den Folgen eines Attentats. Der marxistische Soziologe gilt als bekanntester Wortführer der West-Berliner Studentenbewegung der 1960er Jahre.