«Hab ich oder hab ich nicht gebucht?» Diese Frage lässt sich nicht immer leicht beantworten. Samuel Nussbaum

Das System hat immer Recht

Probleme mit Modulbuchungen kennt man in allen Fakultäten. Zu Konflikten führen sie nur bei den Wirtschaftswissenschaftlern.

24. November 2008

Zweimal im Jahr herrscht digitaler Ausnahmezustand an der Uni. Einige Wochen vor Semesterbeginn öffnen sich die Schleusen und eine Flut der Datenströme bricht hinein in das Modulbuchungssystem. Tausende Studierende sitzen vor ihren Computern und buchen die Veranstaltungen für das kommende Semester. Auch Markus Straubhaar* und Oliver Flückiger, beide studieren an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät WWF, haben sich ins Buchungsprogramm eingeloggt. Sie markieren ihre Module, «Steuerlehre» und «Einführung in die künstliche Intelligenz», und bestätigen per Mausklick. Flückiger macht einen Ausdruck seiner Buchung, wie es die Fakultät vorschlägt; Straubhaar nicht. Beide besuchen die Kurse und lernen auf die Prüfung am Semesterende. Beide betreten den Prüfungssaal, die Assistenten rufen die Namen auf. Straubhaar ist auf der Prüfungsliste, Flückiger wartet vergebens. Trotzdem schreibt er die Prüfung; zuhause hat er ja den ausgedruckten Buchungsbeleg. Tage nach der Prüfung stehen beide vor demselben Problem. Ihre Buchungen sind spurlos aus dem System verschwunden, stellen Markus Straubhaar und Oliver Flückiger baff fest. Straubhaar erfährt das erst, als der Assistent seine Note nicht eintragen kann. Wahrscheinlich wäre das administrative Malheur kein Problem für die beiden geworden – würden sie nicht an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät studieren. Das musste schon der Physikstudent Christian Elsasser erfahren, dem eine fehlgeschlagene Modulbuchung im Nebenfach einen Gerichtstermin einbrachte (die ZS berichtete).

Ausweg in der Grauzone

Modulbuchungen, die aus dem System verschwinden, oder Studierende, die falsch buchen und es nicht merken, weil das Buchungstool alles andere als benutzerfreundlich ist: Das sind Fälle, die eher selten, aber doch mit gewisser Regelmässigkeit auftreten, und zwar an allen Fakultäten, die bereits auf das Bologna-System und damit auf elektronische Buchungen umgestiegen sind. Doch nur die Ökonomen tun sich schwer damit, solche Probleme kulant zu lösen.

Flückiger und Straubhaar stellen Gesuche, dass ihre Prüfungen trotzdem angerechnet werden. Sie sind sich sicher, korrekt gebucht zu haben. Alex Angehrn, Prüfungsdelegierter und Geschäftsführer der WWF, sieht das anders. «Nachträgliche Buchungen sind nicht möglich», lehnt er Markus Straubhaars Gesuch ab. Auch Oliver Flückiger hat das Nachsehen. Seine Modulbuchung sei nicht im System protokolliert, sagt ihm Angehrn, obwohl er den Ausdruck seiner Buchung vorweist. Flückigers Arbeit ist für die Katz, Straubhaar findet einen Ausweg in der Grauzone. Sein Assistent rechnet ihm die Leistung ohne Wissen des Dekanats unbürokratisch im nächsten Semester an. Das wäre an anderen Fakultäten wohl der Normalfall gewesen. Dort behandeln die Prüfungsdelegierten solche Probleme kulant. Ausdrucke von Modulbuchungen werden vorbehaltlos akzeptiert und Probleme mit dem Buchungstool pragmatisch gehandhabt. Man glaubt einem Studierenden, dass er nach bestem Gewissen einige Minuten darin investiert, eine Veranstaltung zu buchen.

Beweislast beim Studierenden

Wem an der WWF so etwas passiert, der rechnet besser nicht mit grossem Entgegenkommen. Die Beweislast liegt beim Studierenden. Wer keinen Ausdruck seiner Buchung vorlegen kann, der beisst auf Granit. Wer aber einen Ausdruck vorlegt, dem garantiert das Dokument noch überhaupt nichts. Im Gegenteil, die bearbeitende Sekretärin und der Prüfungsdelegierte Alex Angehrn suggerieren schon mal, dass das Dokument manipuliert sei (wie im Falle Christian Elsasser). Obwohl es grundsätzlich ein Leichtes wäre, den Ausdruck zu fälschen, gehen die Studierenden ein solches Risiko kaum ein. «Es hat noch keine Disziplinarverfahren wegen Fälschungen gegeben», sagt Angehrn. Trotzdem begegnet das Dekanat der WWF Studierenden mit Modulbuchungsproblemen äusserst skeptisch. Grossmut zeigt man nur in «Härtefällen» – wenn beispielsweise das Studium bei einem negativen Entscheid entscheidend verzögert würde. Und auch in solchen Fällen kommen die Studierenden nur nach einigen Briefen, Gesuchen und Telefonaten zum Ziel.

Reglemente besser lesen

Im Dekanat der WWF gelten zuerst die Reglemente. Und die sagen: Die Studierenden sind selbst dafür verantwortlich, dass sie ordentlich buchen. Wenn im Buchungssystem nichts zu finden ist, dann ist auch nicht gebucht worden. Die Fehler werden grundsätzlich bei den Studierenden geortet. «Sie nehmen sich heutzutage einfach nicht mehr die Zeit, Reglemente und Anweisungen sorgfältig zu lesen», nervt sich eine Sekretärin auf dem Dekanat und verweist auf eine Anleitung, die bildlich und Schritt für Schritt zeigt, wie man bucht. Selbstverantwortung wird im Dekanat der WWF allgemein gross geschrieben, und manchmal schwappt sie vielleicht über in leichte Ignoranz gegenüber Problemen von Studierenden. «Sie können das ja einem Baum erzählen, wenn sie das beruhigt», entgegnete eine Sekretärin einem Studierenden, der seine Prüfung an einem Ersatztermin ablegen wollte, weil er zur selben Zeit für eine andere Prüfung angemeldet war.

Zorn entlädt sich auf dem Uniboard

Da ist es nicht verwunderlich, wenn die Emotionen hochgehen. Mit jedem neuen Fall, der unter den Studierenden die Runde macht, wächst die Unsicherheit.

Der Zorn über die willkürlich anmutenden Entscheide des Dekanats entlädt sich auf dem Uniboard: «Dem Laden ist nicht zu trauen», schreibt ein User, «die Universität wird ihrem Ruf als Sauhaufen wieder mal in vollem Umfang gerecht», ein anderer. Ein rabiaterer Vorschlag ist, die Ausdrucke gleich mit einem Messer an die Türe des Geschäftsführers Angehrn zu rammen. Und unter den Schutz der Anonymität will ein User gleich aggressiv gegen das «Problem» vorgehen: «Gehen wir hin und zünden das Dekanat an!», schreibt er.

Bürokratie statt Lerneifer

Das Unverständnis darüber, warum man sich vor allem um bürokratische Dinge statt um den zu lernenden Stoff kümmern muss, ist gross. Doch die Geprellten brauchen das Forum nicht nur als Blitzableiter, sondern machen auch konstruktive Vorschläge. «Jetzt reichts», sagte sich Informatik-Student Benjamin Wohlwend enerviert und präsentiert eine denkbar einfache Lösung: Sobald eine Buchung erfolgt, wird ein signiertes Bestätigungsmail verschickt. «Das bringt jeder Webshop fertig, wieso dann nicht die Universität?», fragt er sich. Bereits im Februar habe er diesen Vorschlag an den Geschäftsführer der WWF, Alex Angehrn, geschickt. Und nie mehr etwas gehört. Was Wohlwend nicht wusste: Die Ideen dazu gibt es schon lange. Und die Einführung eines solchen Systems wäre ein Kinderspiel. Pascal Bachmann, Leiter der Informatikdienste, weiss auch nicht so recht, warum das eigentlich nicht schon gemacht werde. «Eine gute Frage», sagt er, «meines Wissens wurde das von niemandem gewünscht.» Das sei doch eine ziemlich gute Idee. Wahrscheinlich habe man das aus Prioritätsgründen weggelassen. Er behaupte, das sei in kurzer Zeit einzurichten, es sei ein rein technisches Problem. «Dass das aus Kostengründen nicht eingeführt wird, ist Quatsch», stellt Bachmann fest. Das würde intern erledigt, er müsse lediglich seine Mitarbeiter umdisponieren. «Wenn das die Sicherheit der Modulbuchung verbessern würde, hätte das aus meiner Sicht oberste Priorität», hält er fest. Allerdings weiss Bachmann von keinen Fällen, wo Buchungen aus dem System verschwunden sind. Die Pannen ordnet er eher der Bedienung zu. Wenn eine Buchung erfolgt sei, dann verschwinde die nicht mehr. Die Applikation protokolliert nämlich alles: Logins, Buchungen, Stornierungen, Logouts. Auf die Sekunde genau. Aber wenn dieses Protokoll einmal einen Fehler enthalten sollte – was eben unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist – merkt das niemand. Denn es wird nicht kontrolliert. Die Studierenden müssten beweisen, dass aus dem System etwas verloren ging.

Dem User eine Chance geben

Auch er sei skeptisch, wenn er von verschwundenen Buchungen höre, sagt Gerhard Schwabe, Professer am Institut für Informatik. Fehler träten zwar überall auf, zum Beispiel auch im e-Banking. Aber die Wahrscheinlichkeit sei sehr gering. Auch er schlägt die Lösung mit Bestätigungsemails vor: «Solche Lösungen exisiteren im E-Commerce schon lange», weiss Schwabe. Wer etwas mit seiner Kreditkarte kaufe, erhalte ein Email mit einer Bestätigung. «Damit er weiss, was das System mit meinen Eingaben gemacht hat», sagt er. In der Sprache der Informatiker werde sowas «fehlerfreundlich» genannt. So habe der Studierende selber die Chance, Buchungsfehler zu erkennen – und würde dann verpasste Buchungen auch eher akzeptieren. So wäre auch eine zweite Sicherheit vorhanden: Fehlt eine Buchung, kann überprüft werden, ob eine Email verschickt wurde. «Man hätte zwei unabhängige Systeme, um allfällige Fehler des Systems zu eruieren», erklärt er. «Wenn ich mir anschaue, was für ein Zeit- und Imageverlust der Prozess von Elsasser und der ganze administrative Aufwand war», führt er aus, «wären die Kosten eines solchen Systems wohl zu vernachlässigen.» Die beiden Profis sind sich also einig: Fehler im Modulbuchungssystem sind sehr selten, können aber vorkommen. Das Protokoll wird nirgends überprüft. Und genau in diesem Fall wäre es unfair, vom Studierenden den Beweis für eine Buchung zu fordern. Doch warum merkt die Universität das erst jetzt?

Das SAP, ein riesiges Softwarepaket, das die Universität für die Administration einsetzt, ist extrem komplex. Schwabe vergleicht es mit einem Tanker und dessen langem Bremsweg. «Heute wird an der Universität Zürich nur reagiert», sagt Schwabe. Man habe es versäumt, zuerst die Bedürfnisse der Anwender zu erfassen und dann die entsprechende Software zu programmieren.

Kurskorrektur nach drei Jahren

Der Modulbuchungstanker war bei den Ökonomen jetzt drei Jahre lang unterwegs, ohne dass jemand merkte, wie er vom Kurs abkam. Wer mitfahren wollte, war sich nie sicher, ob er denn jetzt eine Bordkarte besass oder nicht. Immerhin ist jetzt eine Kurskorrektur in Sicht: An einem Treffen mit den Fachvereinen Ökonomie und Informatik sicherte Dekan Josef Falkinger zu, sich um die Probleme an der WWF zu kümmern. Das geforderte Bestätigungsemail würde sogar bei sprachlichen Problemen helfen: Es gibt einen Fall, wo ein Holländer zehn Module für ein Semester buchte. Dummerweise kann «sturen» auf holländisch «absenden» heissen – und ähnelt dem deutschem Wort «Storno». Und so haute er sich wegen mangelnder Deutschkenntnisse sämtliche zehn Module wieder raus. Er konnte froh sein, dass er Informatik studierte – das Institut liess Gnade walten und buchte ihm alles wieder ein. Wer weiss, mit was für einem Spruch die Mitarbeiter des Dekanats der WWF ihn im Büro begrüsst hätten. *Name von der Redaktion geändert.