Frei sein von starrer Struktur

Linus Cart veröffentlicht sein erstes Album «My life feels like retirement». Eine Ode an die Gelassenheit. Für ihn zählt vor allem das gemeinsame Erlebnis mit dem Publikum.

Lena Silbermann (Text und Foto)
24. November 2025

Obwohl Linus Cart heute das erste Mal interviewt wird, sitzt er gelassen da und die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus. «Einfach noch bisschen Promosachen.» Er verzieht das Gesicht: «Ich hasse das Promozeugs wirklich, ich würde am liebsten nur Musik machen», meint er schmunzelnd. «Chaotisch, humorvoll, hmm… und blöd», lacht er laut, als er sich selbst beschreibt. Eine Persönlichkeit, die er nicht nur als Linus, sondern auch als 0cartman0 in seiner Musik auslebt. Seine Musik sei befreit von starrer Struktur und klarer Einordnung in eine Stilkiste. «Genrebezeichnungen sind immer etwas schwierig», findet er. Auf Konzerten ist seine Musik deshalb manchmal ein bisschen spezieller als das vielleicht Gewohnte, doch genau dieses Anderssein ist das Erlebnis, das Linus anstrebt.Wie auch seine Musik begann vieles andere nicht mit einem strikten Konzept, sondern planlos auf einem Dachboden in Deutschland.

Das gewisse Kribbeln 

Im alten Haus seines Vaters, der Klassik und Perkussion studiert hatte, spielte er erstmals das Schlagzeug, «Das war cool», erinnert sich Linus. «Bevor ich ins Gymi gegangen bin, habe ich dann ein wenig Unterricht von Papi bekommen.» Ab da war eine Leidenschaft entfacht, die ihn vom Schlagzeug zur Gitarre und später auch zum Gesang brachte. Für Linus war es immer wichtig, eigen zu sein. «Menschen wie Childish Gambino inspirieren mich», sagt er. An ihm begeistere ihn die Vielseitigkeit der kreativen Ecken, in welchen er tätig ist: Musiker, Schauspieler, Serien-Mitproduzent. «Nicht nur auf einem Ding unterwegs, sondern verschiedene Skills zu haben, das find ich recht krass.» Als Musiker, Filmstudent und Schauspieler weiss er, dass diese verschiedenen Leidenschaften sich nicht gegenseitig ausschliessen. Ganz im Gegenteil: Sie befeuern einander. «Es macht Spass, alles verbinden zu können», unterstreicht er enthusiastisch.

Einzelne Menschen grüssen den jungen Zürcher im Vorbeigehen. Die Orte und Momente seines alltäglichen Lebens werden oft Teil seiner Songs, erklärt Linus: «S läbe wo passiert.» Teil seines neuen Albums wären diesmal jedoch auch mehr absurde Erzählungen über Sachen und Phänomene, die ihn nerven oder die er einfach schön findet - nach dem Motto «Schnufe, schön, sad». «Man fragt sich schon, ob man das grad machen soll», sagt er und meint damit das Veröffentlichen eigener Projekte in einer Welt, in welcher täglich tausende neuer Sachen publiziert werden. Eine Welt voller Medien, in denen jeden Tag neue Krisen aufzutauchen scheinen, als ob sie einander in einem unendlichen Wettbewerb übertrumpfen wollen. «Oder ob man selber politischer in seiner eigenen Musik sein sollte?», fragt er sich, da Linus Musik publiziert, die oft eher apolitisch ist. Solche Gedanken hatte er schon öfter. In Zürich schreibe und publiziere er aus einer privilegierten Lage. Somit ist es für ihn eine unaufhaltsame Frage nach der Rechtfertigung der Veröffentlichung seines Tuns in einer Welt voller Dringlichkeiten. Für Linus sind genau solche Fragen und Gedanken schwer auszuweichen und schon gar nicht leicht zu beantworten.

Es soll «meschelen»

Wichtig ist für Linus, dass seine Musik ein Ausdruck seiner Person ist. Das gibt einen tieferen Blick in seine Identität: «Das ist etwas vom Schönsten!», schwärmt Linus. Er setzt sich deshalb gerne mit kreativem Schaffen auseinander, weil dieses Arbeiten Emotionalität tiefer behandelt. «Kennst du das, dieses Kribbeln, wenn es einem den Rücken runterläuft? Das strebe ich an, das fasziniert mich.» Im Zürcher Dialekt würde dies auch als «es meschelet» beschrieben werden. Viele dieser bleibenden Momente erlebe Linus auf seinen eigenen Konzerten. «Es passiert viel, was man selbst gar nicht versteht, während man auf der Bühne steht.» 

Die Blicke, die er mit seinen fünf Bandmitgliedern austauscht, seien unbezahlbar, mal weil jemand etwas falsch gespielt hat oder weil jemand aus dem Publikum mit lustigen Schreien Aufmerksamkeit auf sich zieht. «Ich versuche das Ganze auch nicht allzu ernst zu nehmen. Es ist einfach cool, wenn Leute mit dem Zeug interagieren, das wir machen.» Auch in Zukunft hat Linus noch einiges vor. «Reisen mit der Musik», erzählt er, «Das wäre mein Wunsch, viele Konzerte spielen, viele Orte bereisen, viele Menschen kennenlernen. » Musik ist etwas sehr Verbindendes und das will er in vollen Zügen erleben und fühlen.

0cartman0, Zürcher Musiker, veröffentlichte im Oktober sein erstes Album «My life feels like retirement». Er studiert Film an der Hochschule Luzern.