Unter Wasser gesetzt

Eine Ausstellung im Landesmuseum Zürich soll die turbulente Geschichte der Wasserkraft in der Schweiz beleuchten. Zehn Zeitzeug*innen berichten, wie Bergdörfer Stauseen weichen mussten.

29. September 2025
Schweizerisches Sozialarchiv

Ein Timer zählt 2 Minuten rückwärts, dann rinnt Wasser über drei kahle Betonwände, in Schwarzweiss erscheinen Berge und Stauseen, Dörfer, Kraftwerke, Bauarbeiter und Fotos von Protesten. So beginnt die 45-minütige Videoinstallation, das Herzstück der Ausstellung «Wasserkraft und Widerstand» im Landesmuseum Zürich. Sie widmet sich der Entwicklung von Wasserkraftprojekten in den Alpen, einem zentralen Bestandteil der Schweizer Energieversorgung seit 1950. Anhand von Berichten durch Zeitzeug*innen zeigt die Ausstellung eindrucksvoll, was die Grossbauprojekte für verschiedene Anspruchsgruppen bedeuteten. 

An der gegenüberliegenden Wand hängen Kopfhörer, die Sprache kann ausgewählt werden: Auf verschiedenen Sprachen sowie im Originalton – mal ein starker Walliser oder Bündner Dialekt, mal Italienisch oder Französisch – kann den zehn Zeitzeug*innen gelauscht werden. Sie haben unterschiedlichste Bezüge zur Wasserkraft. So berichtet ein Bauarbeiter, der mit noch nicht einmal 16 Jahren anfing, dort als Saisonnier zu arbeiten, vom Unglück beim Bau vom Kraftwerk Mattmark. Er erlebte, wie sich am Tag des Unglücks der Gletscher löste. Die Tochter eines Arbeiters, der im Unglück von Mattmark verstarb, erzählt, wie sie mit 17 Jahren nach dem Unfall drei Jahre lang nur schwarze Kleidung trug.

Schweizer Stolz mit Kosten 

Die Ausstellung beginnt mit den 1920er-Jahren: Mit künstlich angelegten Stauseen wird in den Schweizer Alpen Strom produziert. Die Kraftwerke beginnen, die Städte und die SBB mit Energie zu beliefern: Damals ein Symbolbild für Schweizer Werte, Unabhängigkeit, Energiesicherheit und für eine innovative und moderne Schweiz. Mehr als 50 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs wird aus Wasserkraft gewonnen. Dies hat aber durchaus seine Kosten. Marcel Dora berichtet von seiner Kindheit zwischen 1943 und 1951 in der Gemeinde Marmorera, Albula, Kanton Graubünden. Zu seiner Zeit lebten 140 Personen in der finanzsc wachen und verschuldeten Gemeinde. Zur gleichen Zeit brauchte die Stadt Zürich mehr Strom. 1948 wollten die Zürcher Elektrizitätswerke (EWZ) in Marmorera einen Stausee bauen, die Gemeindeversammlung stimmte dem Bau des Stausees zu. Widerstand seitens Personen ohne Stimmrecht, vor allem Witwen und Ausgewanderte, wird überwältigt. 

Verhandlungen zwischen den EWZ und Einheimischen über den Verkauf ihres Landes finden auf Deutsch statt, obwohl einige nur Italienisch oder Rätoromanisch sprechen. «Die Leute wurden im Regen stehen gelassen», sagt Dora. Die Parteien, die sich weigern, ihr Land zu verkaufen, werden enteignet. Der Staudamm wird zwischen 1950 und 1954 errichtet; das Dorf Marmorera, der Weiler Cresta und rund 140 Hektar Wiesen- und Waldgelände unter Wasser gesetzt. Oberhalb des Sees wird Neu-Marmorera errichtet. Im Gemeindehaus des neuen Dorfes hing einst ein Bild, das den Abschied der Menschen von ihrem Dorf vor dem Bau des Staudamms zeigte, so Dora. Dieses sei jedoch verschwunden. Er betont, wie viel es ihm bedeuten würde, dieses Bild wieder zu finden.

Entscheidungen stauen sich auf 

Das Landesmuseum sucht sich einen treffenden Zeitpunkt für die Ausstellung aus: 2024 hat die Schweizer Stimmbevölkerung das Stromversorgungsgesetz angenommen. Teil des Gesetzes ist ein strategischer Ausbau der Wasserkraft in 15 Vorhaben. Die Erhöhung von bestehenden Staumauern wie der in Marmorera sowie das Bauen von neuen Speicherseen wie in der Trift sind darin inbegriffen. Gegen Letzteres wehrt sich die Geschäftsleiterin von «Aqua Viva», Salome Steiner. Als eine der Zeitzeug*innen sagt sie: «Wasserkraft ist eine nachhaltige Energie, aber keine ökologische.» Auen, Bergbäche und bedrohte Arten der Triftlandschaft im Berner Oberland müssten dem neuen Kraftwerk weichen, um ein Prozent des nationalen Stromverbrauchs zu generieren. Zum Bau solcher Kraftwerke wurde ein Konzessionssystem eingeführt. Damit wurde die Nutzung des Wassers vermietet anstatt verkauft. 

Diese «Mietverträge» laufen nach 80 Jahren nun langsam aus und die Standortgemeinden und betroffenen Kantone werden Eigentümer der Kraftwerke. Das bedeutet eine mögliche Einkommensquelle, aber auch ein hohes finanzielles Risiko. Ab 2040 stehen grosse dieser sogenannten Heimfälle an, darunter die Kraftwerke bei Mattmark und Grande Dixence, über die in der Ausstellung berichtet wird. Wie die Stromversorgung danach aussieht, steht noch offen. 

Bis es so weit ist, beleuchtet die Ausstellung «Wasserkraft und Widerstand » die Ingenieurskunst der Schweizer Wasserkraftwerke, erinnert aber auch an Unglücke und Unrecht, die mit ihr zusammenfallen. Die Interviews geben den Besuchenden unterschiedlichste Blickwinkel auf Energie aus Wasser an die Hand – persönlich, deutlich und informiert.