So apolitisch ist die ETH
Die ETH streicht Beiträge zur Solidarität mit Menschen aus der Ukraine und dem Nahen Osten von ihrer Website. Sie will ab jetzt keine politische Position mehr einnehmen. Geht das überhaupt? Ein Kommentar.
Egal, ob man sich als rechts oder links, konservativ oder progressiv einstuft: Etwas scheint sich während unserer Studienzeit für alle drastisch verändert zu haben: unsere Gesprächsthemen. Während früher Diskussionen über den Nutzen gewisser Forschungsrichtungen und die übliche Lästerei unsere Kaffeepausen begleiteten, geht es heute beim gleichen Kaffee um globale Aufrüstung und geopolitische Krisen.
Inmitten solcher Diskussionen entschied sich die ETH im vergangenen Februar, «keine offizielle Positionierung bei geopolitischen Konflikten» mehr einzunehmen. Die existierenden Positionierungen zum Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten wurden von der Webseite entfernt. In dem im Februar auf ihrer Website veröffentlichten Positionspapier erklärt der ETH-Rat, geopolitische Positionierungen würden dem Auftrag der Universität entgegenwirken. Dieser Auftrag bestehe unter anderem darin, «die nächsten Generationen zu kritischen und kreativ denkenden und handelnden Bürgerinnen und Bürgern» auszubilden, sowie Wissen zu schaffen und Technologien zu entwickeln, «um die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen».
So sei «die institutionelle Unparteilichkeit für die Wahrung der akademischen Freiheit von entscheidender Bedeutung». Die Unparteilichkeit der ETH erlaube «einen geschützten Rahmen für unvoreingenommene intellektuelle Erkundungen» und das Nebeneinanderbestehen mehrerer Perspektiven. Eine institutionelle Positionierung würde «ein Umfeld fördern, in dem sich Personen mit abweichenden Meinungen ausgegrenzt oder nicht willkommen fühlen». Zusammenfassend scheint die ETH-Leitung ihre Entscheidung grundsätzlich mit Unparteilichkeit und Inklusion zu verteidigen.
ETH auf scheiternder Inklusions-Mission
Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Grundwerte konsequent vertreten werden und ob diese Entscheidung nicht eher dazu da ist, die Handlungen und Nicht-Handlungen der ETH zu legitimieren. Wir brauchen nur ein Jahr zurückzuschauen, um zu erkennen, wie die vermeintlich inklusive Institution nach einem fünfminütigen Sitzstreik im Hauptgebäude ihre eigenen Studierenden von der Polizei hat raustragen lassen. Daraufhin erhob die ETH, die abweichende Meinungen nicht ausgrenzen wolle, Anklagen gegen ebendiese Studierenden aufgrund «Hausfriedensbruchs». Keine andere Schweizer Uni ging so weit.
«Die ETH Zürich bietet politischem Aktivismus keine Plattform, die politische Neutralität ist uns wichtig», erklärte Ulrich Weidmann, Vize-Präsident für Infrastruktur der ETH Zürich. «Die ETH meint, sie könne keine politische Position einnehmen, aber das, was als politisch definiert wird, ist das, was von der impliziten Position der ETH abweicht.» sagt Ronja*, ein Mitglied der studentischen Organisation SiP (Science is Political). Die Anklagen der ETH zeigen, dass explizites politisches Engagement vom Campus ferngehalten werden soll, während die Institution weiterhin politisch bleibt. «Wer trifft die Entscheidung, was politisch ist und wann die Institution sich doch positionieren muss?» fragt Ronja*. «Es ist immer von Inklusion die Rede, aber selbst das neu veröffentlichte Aufnahmeverfahren der ETH widerspricht diesem Prinzip.» In einer im Oktober 2024 veröffentlichten Entscheidung erklärte die ETH, dass ein Embargo oder Exportkontrollbestimmungen gegen das Herkunftsland genüge, um eine Bewerbung abzulehnen. Die Liste enthält viele Herkunftsländer von ausländischen Studierenden an der ETH, etwa China, Libanon oder Iran. Wie ein solcher Entscheid mit der Inklusions- Mission und der Unparteilichkeit der ETH vereinbar ist, bleibt eine offene Frage. In dem im Februar veröffentlichten Bericht behält sich die ETH-Leitung das Recht vor, sich aktiv zu positionieren, sollte eine «Störung des ETH-Betriebes» vorliegen. Die implizite Positionierung der ETH ist allerdings weit über Reaktionen auf disruptive Aktionen hinaus spürbar.
«Die implizite politische Linie der Institution ist durch Realpolitik definiert»
Zum Beispiel lohnt es sich, anzuschauen, wer auf dem Campus an offiziellen Veranstaltungen sprechen darf und wem dies verweigert wird. Im selben Februar wurde Michael Singh, Geschäftsführer des Washington Institute, einer Institution, die laut dem israelischen Premierminister Netanjahu Analysen bietet, «die darauf abzielen, eine realistische Politik zu fördern», in die ETH eingeladen. Er hielt einen Vortrag mit News So apolitisch ist die ETH Füruz (Kommentar und Illustration) Die ETH streicht Beiträge zur Solidarität mit Menschen aus der Ukraine und dem Nahen Osten von ihrer Website. Sie will ab jetzt keine politische Position mehr einnehmen. Geht das überhaupt? Ein Kommentar. dem Titel «Understanding Current Dynamics in the Middle East». Singh hatte zuvor auf seinem X-Account, der inzwischen gelöscht ist, den Aufruf der EU, die Urteile des Internationalen Gerichtshofs gegen Netanjau durchzusetzen, als «enttäuschend und unfassbar» bezeichnet. Zudem forderte er eine US-amerikanische Militäroperation gegen den Iran und die Hisbollah. Einen Vortrag des Autors Leopold Lambert mit dem Titel «Weaponized Architecture: Settler Colonialism and the Built Environment in Palestine», der im April 2024 hätte stattfinden sollen, hat die ETH-Leitung aber abgesagt. Als Begründung gab sie an, dass der Autor nicht bereit sei, «sich glaubhaft und genügend explizit von Gewalt zu distanzieren».
Die Leitlinie ist unklar
Im September 2024 entschied sich die ETHLeitung kurz vor Beginn einer Veranstaltung über KI und deren Einsatz in autonomen Waffensystemen, diese zu verbieten. Die Leitung warf den Organisator*innen vor, «politisch voreingenommen» zu sein und behauptete, es handle sich um «eine antiisraelische Gruppe». Die Organisator*innen lehnten diese Vorwürfe ab . Die Veranstaltung durfte dann nach erneuter Anfrage diesen Frühling durchgeführt werden. «Die implizite politische Linie der Institution ist durch Realpolitik definiert» sagt Ronja*. Diese folge den Interessen privater Geldgeber sowie offizieller Staats- und Militärpolitik.
In dem veröffentlichten Bericht legt die ETH grossen Wert auf akademische Freiheit, die durch die Unparteilichkeit der Institution gewährleistet werden soll. Wie die akademische Freiheit in einer Institution bewahrt werden soll, die ihre Autonomie gegenüber realpolitischen Akteuren nicht aufrechterhalten kann, bleibt fraglich. Eines ist jedoch klar: Mit steigenden Militärausgaben und dem aktiven Einsatz von Technologien wie KI und Drohnen in heutigen Kriegen wird diese Frage immer relevanter. Dass die Relevanz technischer Hochschulen in heutigen Kriegen gross ist, zeigen zum Beispiel Studierende des Polytechnikums in Kiew, die in den Kellern ihrer Universität Drohnen für das Militär bauen.
Es stellt sich die Frage, wer an den Universitäten beschliessen darf, was als politisch gilt und was nicht. Ob wir als Studierende und Forschende nicht Teil sein sollten des Entscheides, was mit unserer Bildung und unserer Forschung passiert. Denn die ETH bleibt in ihren Aktionen weiterhin politisch, egal ob sie dazu steht oder nicht.
*Namen durch die Redaktion geändert.
Füruz ist Student an der ETH Zürich. Dort möchte er sich nach dem Abschluss auf eine Doktoratsstelle bewerben und zieht es deshalb vor, anonym zu bleiben.