Wohnkrank: Wenn Mängel zur Gewohnheit werden
Warum viele Studierende mangelhafte Wohnbedingungen in Zwischennutzungen hinnehmen und wie man sich dagegen wehren kann.
Das Wohnen in Zwischennutzungen, wie sie gemeinnützige Vermittlungsplattformen wie das Jugendwohnnetz (JUWO) anbieten, bringt viele Vorteile mit sich: bezahlbare Mietpreise, zentrale Lage und ein gemeinschaftliches Wohnerlebnis. Dies macht JUWO zu einer der beliebtesten Anlaufstellen für wohnungssuchende Studierende und über 4000 Personen in Ausbildung leben in Zürich in einer solchen Wohnsituation. Doch das Leben in diesen befristeten Wohngemeinschaften hat auch eine Kehrseite: mangelhafte Infrastruktur, fehlende Transparenz bezüglich der Zuständigkeiten, rechtliche Unsicherheit und ungewisse Perspektiven. Diese allgegenwärtige Situation im temporären Wohnraum führt auch zu einer Normalisierung dieser Wohnverhältnisse, wodurch viele Studierende ihre Rechte und Ansprüche häufig nicht wahrnehmen. Eine Forschungsgruppe der Universität Zürich hat die Ursachen und Folgen dieser Normalisierung untersucht und präsentiert Lösungsansätze, um sichere und faire Wohnbedingungen für Studierende zu fördern.
Eine kranke Stadt
Wie viele andere Städte ist auch Zürich von einer Krankheit befallen: Die Mietpreise steigen wie Fieber, fristlose Kündigungen verbreiten sich wie ein Virus und die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum schnellt in die Höhe wie ein steigender Blutdruck. Eine Mietpreiserhebung der Stadt Zürich bestätigt diesen Befund: Seit 2022 sind die Mieten um bis zu neun Prozent gestiegen. Die Ursachen dieser Krankheit sind vielfältig und eng miteinander verknüpft: Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt, zunehmende Gentrifizierung, die Ausbreitung von Kurzzeitvermietungen über Plattformen wie Airbnb, fehlende politische Massnahmen zur Mietpreiskontrolle und viele weitere Faktoren. Kein Wunder also, dass viele Studierende dem privaten Wohnungsmarkt chancenlos ausgeliefert sind. Ihre einzige Hoffnung ruht scheinbar auf dem JUWO, welches in den 80er-Jahren aus den Jugendunruhen hervorging und seither bezahlbaren Wohnraum für Menschen in Ausbildung anbietet. Doch auch hier macht sich der wachsende Wohnungsdruck bemerkbar: Über 2000 Studierende stehen derzeit auf der Warteliste.
Das JUWO als Heilmittel?
Im Durchschnitt bezahlt eine Person in Ausbildung bei JUWO lediglich 570 Franken brutto für einen Wohnplatz, was das Netz zu einem der preiswertesten Anbietern in der Stadt Zürich macht. Vergleichsweise liegt der aktuelle Medianpreis für eine Zweizimmerwohnung in der Stadt Zürich monatlich bei 1424 Franken netto. Diese günstigen Mietpreise sind nur deshalb möglich, weil das JUWO die Wohnungen zu 90 Prozent von privaten Eigentümer*innen oder Genossenschaften übernehmen und als temporäre Zwischennutzung nutzen kann. Eine angebliche Win-Win Situation: Die privaten Eigentümer*innen können noch einmal aus ihren leerstehenden Wohnungen Profit schlagen, bevor sie dann endgültig abgerissen oder renoviert werden; die Genossenschaften leben ihr soziales Image weiterhin auf, während das JUWO diesen Wohnraum günstig an Studierende weitervermitteln kann. Das JUWO sieht sich demnach als Teil eines Heilmittels gegen die kranke Stadt und ihre Wohnkrise.
JUWO ist eine private, gemeinnützige Organisation und sie sieht sich immer als Teil der Lösung.
Neben günstigen Mietpreisen bietet das JUWO auch Erstgespräche und Coachings an, wobei allein im letzten Jahr über 3800 Beratungsstunden durchgeführt wurden. Diese sind insbesondere wichtig, da Studierende oft zum ersten Mal in eine eigene Wohnung ziehen und daher oft keine Kenntnisse oder Erfahrungen über ihre mietrechtliche Situation und ihre Verantwortlichkeiten haben. Zudem nimmt das JUWO Rücksicht auf finanzielle Engpässe, helfen bei der Suche für Anschlusslösungen und begleiten und unterstützen die Studierenden in problematischen Wohnsituation. Doch wie auch die besten Medikamente, so bringt auch das Leben in dem JUWO einige Nebenwirkungen mit sich.
Die Nebenwirkungen
Trotz billigen Mietpreisen, zentraler Lage und einem gemeinschaftlichen Wohnen empfinden die Studierenden ihre Wohnsituation beim JUWO oft als ambivalent. Zwar sind sie dankbar, dass sie durch das JUWO einen einfachen Zugang zu Wohnraum in den beliebtesten Quartieren der Stadt abseits des privaten Wohnungsmarktes finden können. Dennoch führt der befristete Mietvertrag zu einer spürbaren Unsicherheit. Viele Studierende betrachten ihre Wohnung daher nur als kurzfristige Übergangslösung und sehen sich gezwungen, ständig nach einer nachhaltigen Wohnperspektive zu suchen. Finden sie schliesslich eine Anschlusslösung, kommt es nicht selten vor, dass sie bis zum Ende ihres Mietvertrages doppelte Miete zahlen, auch wenn die neue Wohnung ebenfalls von JUWO bereitgestellt wird.
Trotz den 3800 Beratungsstunden berichten viele Studierende von Schwierigkeiten in der Kommunikation mit dem JUWO. Erstgespräche wurden bei vielen nicht durchgeführt, E-Mails blieben unbeantwortet, und über ihre mietrechtliche Situation wurden sie kaum informiert. Hinzu kommt, dass viele der JUWO-Wohnungen Altbauten sind, die im Laufe der Jahre sichtbare Schäden aufweisen. Einige Studierende berichten von grossflächigem Schimmel an den Wänden, fehlendem Strom, einer Baustelle im Garten, fehlenden Türbalken, defekten Backöfen oder tropfenden Lavabos.
Meinem Mitbewohner hat ein Holzbalken in der Tür gefehlt. In meinem Zimmer hatte ich keinen Strom (…) keine Klingel, wo man unten draufdrücken kann, einen Backofen, der nicht funktioniert. Es hatte schon ein bisschen Bruchbuden-Vibes.
Dennoch bleibt die mangelhafte Infrastruktur in vielen Fällen unrepariert. Patrick Suter relativiert die Wohnverhältnisse und befürchtet, dass zu viele Beschwerden von Seiten der Studierenden zu Spannungen gegenüber den Eigentümer:innen führen könnten. Dies würde den guten Ruf der JUWO gefährden und dazu führen, dass sie in Zukunft weniger Wohnungen zur Verfügung gestellt bekommen. Damit das Verhältnis zwischen der JUWO und den Eigentümer*innen nicht leidet, meint Patrick Suter, dass die Studierenden «in den sauren Apfel beissen» und «im Sinne des Ganzen die eigenen Bedürfnisse etwas zurückstellen» sollten. Viele Studierende berichten hingegen, dass die Eigentümer*innen der Wohnungen Reparaturen gezielt verweigern, mit der Begründung, dass sich diese bei der kurzen Mietdauer nicht lohnen würden. Mangelnde rechtliche Kenntnisse, fehlende Wohnalternativen und das Gefühl, am kürzeren Hebel zu sitzen, führen letztlich dazu, dass viele Studierende die unzureichenden Wohnbedingungen hinnehmen und sie allmählich als normal betrachten.
Ja, für mich ist meine Wohnsituation in Ordnung, aber auch nur, weil ich es anders nicht gewohnt bin und noch keine anderen Ansprüche habe.
Der Immunsystembooster
Ein Besuch bei dem Mieter*innenverband verrät aber, dass dies alles andere als normal sein sollte. Eine Rechtsberaterin ordnet ein:
Grundsätzlich hat man den Anspruch, dass man in einer mängelfreien Wohnung leben darf und das gilt unabhängig davon, ob es befristet ist oder nicht.
Auch sie identifiziert dieselben Ursachen der städtischen Krankheit: steigende Mietzinserhöhung bei jedem Mieter*innenwechsel, aufgewertete Neubauten und die fehlende Inanspruchnahme des Mietrechts. Die Verwaltungen halten dabei alle Zügel in der Hand, denn wenn jemand die Mängel in der Wohnung nicht mehr hinnehmen will, steht längst die nächste Person bereit, die sie trotzdem nimmt. Der Druck auf den bezahlbaren Wohnraum ist so hoch, dass Mieter*innen keine grossen Wahlmöglichkeiten haben und nehmen müssen, was sie in die Finger bekommen. Dies führt schlussendlich dazu, dass sie Angst haben ihre Rechte durchzusetzen, da sie sich in einer verzwickten Position befinden.
Das führt eben auch dazu, dass ganz viele, insbesondere in Zwischennutzungen, ihre Rechte als Mieterinnen und Mieter nicht geltend machen.
Das zeigt sich auch in der Wohnsituation der Studierenden im JUWO. Viele wissen, wie lang die Wartelisten für einen Wohnplatz sind, und sind deshalb froh, überhaupt eine zentral gelegene Wohnung zu bekommen, selbst wenn diese deutliche Mängel aufweist. Die befristete Mietdauer, der tiefe Mietpreis, das Gefühl von Machtlosigkeit, der hohe Druck auf dem Wohnungsmarkt und fehlendes Wissen über das Mietrecht führen somit dazu, dass solche Mängel als gewöhnlich hingenommen werden und sich die Situation mit der Zeit zunehmend normalisiert.
Es hat überall Mängel, aber das stört mich grundsätzlich gar nicht.
Der Weg zur Besserung
Das JUWO ist grundsätzlich eine sinnvolle Organisation, die akut benötigten und bezahlbaren Wohnraum für Studierende ermöglicht und ihren Pflichten grösstenteils nachkommt, das bestätigt auch Larissa Steiner. Dennoch ist spürbar, dass sich viele Studierende, die solche Zwischennutzungen in Anspruch nehmen, in ihrer mietrechtlichen Situation unsicher fühlen und nicht wissen, an wen sie sich bei Problemen wenden können. Trotz dem knappen Wohnraum darf es nicht zur Normalität werden, in einer mangelhaften Wohnung zu leben, in der das Lavabo rinnt, der Herd nicht funktioniert, Schimmel an den Wänden wächst oder die Klingel ausfällt. Der JUWO-Mietservice bietet in solchen Fällen eine nützliche Anlaufstelle. Ausserhalb des JUWO steht der Mieter*innenverband zur Verfügung, der kompetente Beratung zu allen Fragen rund ums Mietrecht anbietet.
In Zeiten der Wohnkrankheit sind allgemeine Kenntnisse über sein Mietrecht eine dringend gebrauchte Stärkung für sein eigenes Immunsystem. JUWO erweist sich dabei als zentrale Rolle in der Vermittlung von preiswertigem Wohnraum und als Beratungsstelle für Studierende in prekären Wohnverhältnissen. Auch wenn das JUWO die Stadt nicht von der Krankheit der Wohnungskrise befreien kann, so trägt es immerhin zur Linderung derer Symptome bei.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Forschungsprojekts «Züri Urban». Mehr Informationen: https://www.zueri-urban.com/studentisches-wohnen