Gurten: Die Crowd macht mit. Nina Kunz

Gurten vs. Paléo – Der Festivalvergleich

Das schmucke Berner Hausbergfestival und das grösste Openair der Schweiz hatten dieses Jahr viele Überschneidungen im Programm. Unter anderem gaben sich Muse, The Lumineers und Boys Noize mit je einem Gig die Ehre. Doch welches Festival vermag bei solch uniformen Auftritten noch zu überzeugen?

28. Juli 2016

Die Sonne scheint, da sie sowieso keine Wahl hat, seit einigen Jahren auf wenig Neues in der Schweizer Festivallandschaft. Die grossen, internationalen Acts touren vom Lac Leman zum Berner Hausberg und weiter ins Sittertobel. Cardinal und Philip Morris teilen sich monopolistisch die Bier- und Zigarettenversorgung. Die Zeit der intimen Festivalerlebnisse, der persönlichen Begegnungen mit Künsterinnen und Künstler, die sich über aussergewöhnliche Acts im kuschligen Rahmen freuten, scheint vorbei.

Sowohl das Gurtenfestival als auch das Paléo Festival in Nyon empfangen jedes Jahr zehntausende Besucherinnen und Besucher. 80'000 wälzten sich während vier Tagen auf den Gurten, fast eine Viertelmillion erreichte die Anhöhe über Nyon über fast eine Woche verteilt. «Wow, you're amazing!» und «You're an unbelievable audience!» schmeicheln grosse Namen mit grossen Gitarren und ausgefeilten Lichtshows.

Paléo 2016. Nina Kunz

Gurten: Spassiger Haufen

Steht man inmitten der hüpfenden, johlenden Crowd vor einer der drei Bühnen auf dem Gurten, glaubt man den Musikerinnen und Musikern ihre Begeisterung über das Publikum sogar. Die Berner lassen sich schliesslich in Punkto Stimmung nicht lumpen. Dabei scheint es fast egal, wer gerade in die Saiten schrummt – genug Leute für eine Welle und Klatschspielchen hat es immer. Womit auch gleich die Kehrseite des platztechnisch beschränkten Festivals genannt ist. Auf dem Gurten sucht man lange nach einem ruhigen Flecken, wo man zwischen den Konzerten entspannen kann. Freie Liegeplätze, kurze WC-Schlangen und ein einfacher Durchgang von A nach B: Fehlanzeige. Das Gurten holt das Maximum aus seinem Berg. Wer es aber lieber ruhig mag, ist hier am falschen Ort.

Paléo: ein bisschen erwachsener

Über mangelnden Platz kann das Paléo nicht klagen. Die Wiesen sind weit, der Platz vor den Bühnen weder steil noch verbaut und irgendwo ist immer ein fast menschenleeres Klo in der Nähe. Die AHV-freundliche Infrastruktur zieht denn auch ein anderes Publikum an, als das Berner Pendant. Blickt man sich um, sticht einem immer mindestens eine Silbermähne ins Gesicht, während man am Gurten erstaunt seine Sonnenbrille putzt, wenn man einen Menschen über Vierzig zu sehen glaubt. Die älteren Semester ziehen aber die Stimmung keineswegs in den Keller. Viel bestimmender ist die laue Menschendichte bei den Konzerten. Ausser beim nächtlichen Hauptact findet man immer ein ruhiges Plätzchen, von welchem aus man direkt auf die Bühne sieht und gleichzeitig Yogaübungen machen könnte. Einen Hexenkessel muss man am Paléo aber eher suchen.

Mit den älteren Menschen kommen auch die ganz Jungen. Und denen wird auch etwas geboten: Theater, Strassenkunst, kleine, feine Konzerte und eine rauch- und alkoholfreie Spielecke, in der nicht nur Minderjährige ganze Abende verbummeln können, warten in «La Ruche». Strassenkünstler ziehen durchs Gelände und auch eine Hochschule fordert jedes Jahr mit anderen Ideen die Kreativität der Besuchenden:

Kunst für alle am Paléo. Andrea Kuratli

Auch sonst ist das Paléo mit seinem überbordenden Angebot dem Gurten klar überlegen. Ein Gebiet, das schon fast das ganze Gurtenareal ausmachen würde, ist nur den Essensständen gewidmet und diese decken alle möglichen kulinarischen Wünsche ab. Eine grosse Zeltbühne, noch mehr Essensstände und ein grosser Platz sind jedes Jahr einer eingeladenen Weltgegend gewidmet. Dieses Jahr waren die Kelten zu Besuch und brachten wunderbare Burger und schunklige Lieder mit.

Fazit: Stimmung vs. Entdeckerfreude

Klar, der Vergleich ist unfair. Das «kleine» Gurten und das grösste Festival der Schweiz über einen Kamm zu scheren, ist unmöglich. Dennoch: Wer eine garantierte Stimmung sucht, soll sich nächstes Jahr an die Berner halten, die kurze Fahrt in die Hauptstadt wagen und mit Tausenden im Chor die Erde stampfen. Wer sich bei den fast gleichen Acts aber für ein Festival entscheiden muss und noch nicht seit eh und je seine besten Freunde auf dem Gurten hat, dem sei ein längerer Ausflug nach Nyon empfohlen. Ein weiterer Vorteil: Die nervigen Sprüche der (egal an welchem Festival präsenten) Prolls lassen sich auf französisch einfacher ignorieren.