Kurt Signer ist als Elvis überzeugend. Oliver Camenzind

Der Polyball oder: die vielleicht glamouröseste Untätigkeit meines Lebens

Unser Aussendienst-Reporter Oliver Camenzind ging für die ZS an den Polyball. Die Verkleidung stimmte, Elvis sang – nur die Stimmung wollte nicht so recht aufkommen.

30. November 2015

Man tut ja gewöhnlich recht viel für einen vergnüglichen Abend, und zwar meistens nicht einmal ungern. Letzten Samstag aber, als ich mich von meiner gefühlt hundert Jahre alten Jeans verabschieden und in einen Anzug steigen musste, näherte sich meine Opferbereitschaft gefährlich ihren Grenzen. Die Freundin, die sich hatte überreden lassen, mich zu begleiten, konnte denn auch ein diskretes Grinsen nicht ganz unterdrücken, als ich mit meiner höchstens mittelprächtigen Laune vor ihrer Tür stand. «Ungewohnt siehst du aus», sagte sie noch bevor sie mich einliess. So, so.

Verlegenes erstes Glas

Eher ungewohnt war dann auch die Szene, die sich etwas später beim VIP-Eingang des ETH-Hauptgebäudes bot: Wir werden gesiezt und höflich gebeten, die Mäntel an der Garderobe abzugeben. Jeder erhält einen VIP-Ausweis, den man sich um den Hals hängen soll, und schliesslich begleitet uns eine hochgewachsene Frau, die mit ihrem Lächeln blitzende Zähne sehen lässt, zum Apéritiv. Die erste Runde Weisswein geht aufs Haus. Oho! Und dann steht man mit seinem Glas in der Hand und hochgezogenen Augenbrauen da. Beeindruckt, ja, aber auch ein bisschen verlegen. Ein bisschen sehr verlegen sogar. Ich fühle mich wie verkleidet und bin zugleich verwirrt, weil man mir meine Verkleidung abzunehmen scheint. Na dann, zum Wohl!

Um nicht in eine allzu lange Sprachlosigkeit zu verfallen, unternehmen wir einen inspizierenden Rundgang durch das, ja: Festgelände des Polyballs, wobei schnell klar wird, was das diesjährige Thema Weltenbummler zu bedeuten hat. Bald finden wir uns in geschickt improvisierten Restaurants wieder, umgeben vom Geruch asiatischen Essens, bald lockt ein Raum mit den exotischen Rhythmen einer Cha-Cha-Cha-Gruppe. Und nach einigem Hin- und Her, Dutzenden Remplern und nicht wenigem Staunen sind wir wieder da, wo wir eigentlich weg gewollt hatten: Unter dem Flugzeug in der Haupthalle.

Stimmung im Keller

Nach kaum einer Stunde stehen wir vor riesigen Blechkästen, die surrende Geräusche von sich geben wie Hochspannungsleitungen, irgendwo in einem Dienstraum. Da müssen wir uns zum ersten Mal geschlagen geben und die nächstbeste Person nach Orientierung fragen. Ein gutmütiger Samariter gibt uns Auskunft, dass wir statt in Richtung Turnhalle auf direktem Weg in die Tiefgarage seien, was ihn, glaube ich, insgeheim sehr belustigt hat. Trotzdem erklärt er uns geduldig, welche Treppen wir nehmen sollen und welche Abzweigungen wir nicht verpassen dürfen.

Leider wird sich schnell herausstellen, dass es trotz klaren Anweisungen nicht leicht ist, sich hier zurechtzufinden. Aber das ist ja gerade das Abenteuer; Man lässt sich treiben und kommt so von einer Attraktion zu nächsten, trifft mehrmals auf dieselben unbekannten Gesichter und amüsiert sich bestens, auch wenn man nicht überall mitmacht. Im E-Stock etwa (oder wo war das?) gibt einer den Elvis. «If you're looking for trouble, just look right in my face» singt Kurt Signer, der seit siebzehn Jahren zum Polyball-Inventar gehört. Und man nimmt dem ehemaligen Luftwaffenpilot seine Zeilen durchaus ab, wenn er seine freie Hand immer wieder zur Faust geballt in die Luft streckt. In der Bar im ersten Stock über der Haupthalle herrscht derweil reger Betrieb, es wird so fleissig konsumiert, dass der sympathische Mann mit der runden Brille kaum Zeit zum Reden hat. Da will man nicht stören, zahlt sein Bier und taucht wieder irgendwo zwischen den tausenden Besuchern ab, bis man sich, nach Luft ringend und den Schweiss von der Stirn wischend, die nächste Verschnaufpause eingestehen muss an dieser Marathonparty.

Eine richtige Ausgelassenheit kommt leider trotz aller Entdeckerlust und allem Trubel nie richtig auf. Ja, wie denn auch, wenn den Männern stundenlang die Fliege auf die Gurgel drückt, und den Frauen immerzu ein ungeschickter Trottel auf den Rocksaum tritt? Die Festgesellschaft spaltet sich zusehends in zwei Gruppen. Es gibt jene, die offensichtlich zum Tanzen hier sind und voll auf ihre Kosten kommen. Und es gibt den grossen Rest, der sich steif in den Gängen und an den Bartresen aufgereiht hat und nicht gerade den angeregtesten Eindruck erweckt. Zudem wird man vor lauter Höhepunkten nie den Verdacht los, an irgendeinem anderen Ort irgendetwas Grossartiges zu verpassen, sodass man in einem fort von Saal zu Saal und wieder zurück eilt, ohne sich auf etwas richtig einlassen zu können. Und Songs mit Titeln wie «You Are the Sunshine» wirken sich auf Dauer leider auch nur begrenzt erquickend auf die allgemeine Stimmung aus.

Kein Trostpreis für Oli

So ertappe ich mich denn immer häufiger dabei, wie auch ich meine Hände in den Hosentaschen zu versorgen beginne, meiner Freundin tun verständlicherweise die Füsse weh und bei der Tombola haben wir auch nichts gewonnen, nicht einmal einen Trostpreis. Dafür kommen wir mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch, das die hellste Freude an dem eben abgeholten Anti-Stress-Schaumbad hat und uns stolz verkündet, dass sie beide schon seit vier Jahrzehnten verheiratet und jedes Jahr hier anzutreffen seien. Mit dieser Information hängen wir uns definitiv an die Bar, lassen den Lauf der Dinge so unscharf bleiben, wie er ist und verbringen die vielleicht glamouröseste Untätigkeit unseres bisherigen Lebens.

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