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Doppelleben auf brüchigem Eis

Im isländischen Drama «Vonastræti – Life in a fishbowle» hat jeder ein dunkles Geheimnis. Das Schicksal dreier leidgeprüfter Charaktere wird dabei mitreissend verwoben.

1. Oktober 2014

Die Sonne scheint äusserst selten. Speziell im Leben zweier Figuren, die sich einsam durch ihren verregneten isländischen Alltag kämpfen. Mori, einst ein erfolgreicher Schriftsteller, hält den Schmerz eines weit zurückliegenden Schicksalsschlags nur durch Unmengen von Alkohol aus. Immerhin überzeugt sein neustes Manuskript den Verleger, sodass er zur Feier des Tages eine Runde ausgeben kann, bevor ihn seine Kumpels für den Rest der Voranzahlung verprügeln. Auch die 24-jährige alleinerziehende Mutter Eik sehen wir zuerst auf einer Feier: einem Junggesellen-Abschied – sie ist dabei das verschämte Geschenk an den Bräutigam. Doch Liebe kennt sie wohl sowieso nur Kindern, speziell ihrer achtjährigen Tochter gegenüber, die sie jedoch mit aller Macht und aus schlimmer Erfahrung vor ihrem Grossvater fernhält.

Verstecken hinter Fassaden

Der eine betäubt den Schmerz, die andere erträgt ihn auf stoische Weise. Da meint es das Schicksal mit dem jungen, ehemaligen Topfussballer Sölvi vergleichsweise gut. Er bekommt einen gut bezahlten Job im florierenden Finanzbusiness und kann seiner kleinen Familie eine neue Lebensqualität bieten. Zumindest oberflächlich. Bald schon muss er immer weiter von seinen Werten abrücken um den Vorgesetzten weiter zu gefallen.

Der vollzeitig Betrunkene Mori hat seine leidvolle Geschichte wohl zu Papier gebracht, weigert sich aber der Hauptfigur seinen Namen zuzugestehen. «Der Schreiber ist nicht derselbe, der es erlebte», erklärt er seinem Verleger zu Beginn. Doch hat er die Wohnung aus seinem frühren Leben nicht angetastet. Er kommt noch nicht davon weg.

Tragische oder auch eher glückliche Umstände bringen die unterschiedlichen Charaktere kurzzeitig zusammen. Die Begegnungen lassen die starre Fassade, hinter welchen sie sich und ihr Leid verstecken, brüchig werden. Die Konfrontation mit der schmerzlichen Vergangenheit zwingt sie zur Handlung, vielleicht auch zur Aufarbeitung.

Packende Intensität

Das Drama wurde in der Heimat zum Kassenschlager und aktuell gerade nominiert, Island an den Oscars für den besten fremdsprachigen Film zu vertreten. In Zürich feiert der Streifen mit Untertitelung Europapremiere und vermag auch hier das Publikum über die vollen zwei Stunden in seinen Bann zu ziehen. Dazu tragen die nasskalten Bilder und abgründigen Handlungen, welche Regisseur Balvin Zophoníasson in einer packenden Dichte inszeniert, extrem bei. Wie aber auch wenig bekannten Schauspieler, die eine schauderhaft gute Performance zeigen. Speziell Hera Hilmarsdóttir brilliert als Mutter, die für ein unbeschwertes Leben ihrer Tochter alles auf sich nimmt. Dabei zeigt ihre Miene zuerst vor allem bestürzende Gleichgültigkeit oder etwas wie Ekel, ehe sie zum Schluss doch auch Wut zulassen kann. Wenigstens bei den meisten Zuschauern dürfte das Eis brechen. Am 4. Oktober bietet sich am Zurich Film Festival zu dunkler Stunde noch einmal die Chance.