Die Bündner Idylle: Alles nur Fassade! Sabrina Peterer

Ach, du bist Bündner

Heisst das tierliebend, weltoffen und beliebt? Alles nur Fassade!

8. März 2013

Wie fühlt es sich an, von allen geliebt zu werden? Nein, diese Frage ist nicht ironisch gemeint. Jeder von euch, der etwas anderes behauptet, betreibt typisch bündnerisches Understatement. Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Geht es um Winterferien, zieht es Jahr für Jahr Tausende zu euch in die verschneiten Dörfer. Eure Bundesrätin erzielt in Meinungsumfragen die besten Werte. Der HC Davos geniesst im Unterland eine Beliebtheit, von der viele Clubs aus der Region nur träumen können. Und als wäre all das noch nicht genug, kommt ihr auch bei Frauen auf Anhieb gut an. Der Gigi von Arosa lässt grüssen!

Dieses Bild von Bündnern, welches vom Piz Bernina durch den zähen Hochnebel bis zu uns durchdringt, ist so kantenlos, dass es nur Fassade sein kann. Die Realität sieht ganz anders aus: Die Zürcher an euren Skiliften empfindet ihr als notwendiges, arrogantes Übel. Schweizer Politik tangiert euch nur am Rande, lieber wird hoch über dem Landwassertal mit der grossen WEF-Kelle angerührt. Der HCD gehört euch Bündnern ganz allein, einzig für den finanziellen Zustupf Spengler-Cup dürfen Auswärtige mitjubeln. Und eure Anziehungskraft aufs weibliche Geschlecht nimmt markant ab, sobald der sonnenbraune Abdruck der Skibrille im Gesicht verblasst und dr huara khuuli Akzent langsam verwässert wird vom schrecklichen Zürcher Dialekt in der grossen, grauen Stadt.

Aber im Verschleiern von Tatsachen seid ihr Bündner ja geübt: Eigentlich mögt auch ihr keine Wildtiere auf eurem Stammesgebiet. Doch einfach abknallen, wie es die Walliser machen, passte nicht ins friedfertige Bild eures Kantons. Deshalb lasst ihr die Rhätische Bahn diese unliebsame Arbeit verrichten. Aus so viel Mauschelei müsste sich aber bestimmt auch eine Menge Profit schlagen lassen. Da trifft es sich gut, dass bei der Vergabe der Olympischen Spiele immer auch eine grosse Portion Diskretion und Vertuschung erwünscht ist. So stehen die Chancen für die Kandidatur eures Kantons bestimmt nicht schlecht. Bei aller Liebe: Wie fühlt es sich an, durchschaut worden zu sein?

Stimmts? Ein Bündner* antwortet:

Es muss sich genial anfühlen, von allen geliebt zu werden. Dennoch kann ich deine Frage nicht nachvollziehen. Mit Liebe ist spätestens dann Schluss, wenn ich mich nach einem erholsamen Wochenende zu Hause in einen total überfüllten SBB-Wagon quetschen muss und froh bin, zwischen all den hektischen Unterländern einen Sitzplatz zu ergattern. Als wäre das nicht schon genug für das fröhliche und ruhige Gemüt der BündnerINNEN, darf man sich auf der Fahrt all die Gespräche über die Sorgen seiner Mitreisenden anhören. Liebe Leute, es ist immer noch Wochenende!

Bezüglich des Bündner Klimas muss ich dir zustimmen. Wir haben wunderschöne Berge, viel Schnee im Winter und fast das ganze Jahr Sonne. Wir können mit Stolz sagen, dass wir in wunderschönen Talschaften leben, inmitten von schützenden Berglandschaften, auch wenn hie und da eine Unterländer-Zweitwohnung die Landschaft verschandelt. Zudem sind wir Tierliebhaber und beherbergen Wölfe und Bären in unseren Dörfern. Ich stelle mir immer wieder die Frage, ob dies in Zürich auch funktionieren würde? Aber schliesslich gibt es da ja einen Zoo.

Übrigens ist es nicht so, dass wir die «arroganten» Unterländer nicht mögen, ganz im Gegenteil. Wir sind weltoffen, darum haben wir das WEF und vielleicht kandidieren wir auch für die Olympischen Spiele.

Was wir jedoch nicht mögen: Unterländer, die im «Stämmbögli» zu zwanzigst die ganze Skipiste in Anspruch nehmen, weil sie zu stolz sind, um auf der Kinderpiste zu üben, oder die mit ihren stadterprobten SUVs durch unsere friedlichen Dörfer preschen.

Dass wir unseren wunderschönen Kanton verlassen müssen, ist leider ein notwendiges Übel. Aber wer weiss, wie das hektische, graue Zürich aussehen würde, wenn nicht ein paar gemütliche Gesellen wie die Tessiner, Walliser oder Bündner ein wenig Sonne in den durchstrukturierten Alltag bringen würden?

*René Sonderegger, Vorstandsmitglied des Bündnerclubs.