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Klischees

Herr Rasmus

19. November 2012

Manche sagen ja, Klischees seien dumpfe Verallgemeinerungen, die in Tat und Wahrheit wenig mit der Realität gemein haben. Das stimmt natürlich: Nicht alle Russen sind spätestens um 15 Uhr besoffen – manche sind es bereits schon um zwölf.

Ein typisches Klischee hier in Lund sind Korridorpartys. Sie sind eine köstliche Gelegenheit, um Beobachtungen anzustellen. Bei Spielen wie Beer-Pong, Flip-Cup oder Trichtersaufen zeichnen sich Studenten aus angelsächsischen Ländern besonders aus. Diejenigen aus dem deutschen Sprachraum treten da dezenter auf. Sie stehen ein wenig abseits des Beer-Pong-Tisches und diskutieren. Dichter und Denker eben.

Nun gibt es aber nicht nur Korridorpartys, sondern auch die ganz normalen Situationen des Alltags. Beispielsweise wenn die, auf dem gleichen Stockwerk wie ich lebende, Japanerin ihre Freunde zum gemeinsamen Dinner einlädt. Ganz dem Klischee entsprechend fotografieren sie aus allen nur erdenklichen Winkeln den reich gedeckten Tisch und laden die Bilder hernach auf Facebook. Und in Gesprächen zeigen sie sich als interessierte Zuhörer, die die Ausführungen ihres Gegenübers jeweils mit «Ooooh!» «Aaaah!», «Really?» quittieren. Ach, ich mag die Japaner!

Jaja, schönes Gefasel von wegen Klischees und so. Aber letztlich geht es um etwas völlig Anderes: Lass alle Vorurteile und Klischeevorstellungen links liegen und geh offen auf andere zu! Auf Klischees trifft man häufig und doch steckt unter der Oberfläche manch Interessantes und Erstaunliches. Erasmus heisst, über Klischees hinwegsehen und stattdessen den einzelnen Menschen verstehen und schätzen lernen. Das mag nun wie ein Gemeinplatz anmuten, doch ist, wenn man es erlebt, unheimlich bereichernd.

Dies ist die leicht gekürzte Fassung eines Blog-Eintrages, der bereits auf zs-online erschienen ist. Der Autor schreibt regelmässig über sein Leben als Austauschstudent in der schwedischen Stadt Lund.