Ein Adventskalender der besonderen Art. Philip Schaufelberger

Die vier Samichläuse

Ein Überfall und ein Rektor, der sich beweisen will. Ein Weihnachtsmärchen.

24. November 2010

Es begab sich, dass der Rektor der Uni Zürich, Andreas Vogel, vor Weihnachten sein Image etwas aufpolieren wollte. Er wollte nicht mehr eine langweilige Bürokratenmaus sein, sondern ein strahlender Unikapitän. Rektor Vogel fasste einen Plan. Am 6. Dezember um vier Uhr, wenn die meisten Vorlesungen enden, wollte er als Samichlaus verkleidet durch den Lichthof ziehen und Nüssli, Mandarinli und Schoggiherzli an die Studierenden verteilen.

In der Kaffeepause der nächsten Unileitungssitzung weihte Vogel seine rechte Hand, den Generalsekretär Reimann, ein. «Spielst du den Schmutzli?», fragte Vogel. «Andreas», antwortete Reimann zögerlich, «ich weiss nicht... ist das nicht ein wenig peinlich?» – «Ach was!», raunzte der Rektor. «Du bist doch nur zu spiessig dafür!» Nach der Pause erläuterte Vogel der Runde sein Vorhaben und rief: «Jeder, der kein Spiesser ist, soll sich am 6. Dezember um viertel vor vier bei meinem Büro einfinden. Mit Kostüm und Mandarinli!» – betretenes Schweigen.

Nun begab es sich, dass am 6. Dezember um zwanzig vor vier drei als Sami­chläuse getarnte und mit Fleischermessern bewaffnete Räuber die untere Mensa stürmten. Sie versuchten dem Mensachef Kluger, der gerade die Wocheneinnahmen auf die Bank bringen wollte, den Geldkoffer zu entreissen. Doch Kluger hatte den Koffer mit Handschellen an seine linke Hand gekettet. Man rang erbittert miteinander, und Kluger rief: «Ihr elenden Halunken!» Da haute einer der Samichläuse mit dem Fleischermesser die linke Hand des Mensachefs Kluger ab und steckte sie in seinen Samichlaussack. Kluger jaulte wie ein Höllenhund, und die Räuber türmten mit dem Geldkoffer auf die Künstlergasse.

In dieser Sekunde stapfte Rektor Vogel im Kostüm aus seinem Büro an der Künstlergasse. Niemand war gekommen. Als er die Strasse betrat, sah er doch noch einige Chläuse in seine Richtung rennen. «Da seid ihr ja endlich!», rief Rektor Vogel erleichtert, «wenigstens ihr drei leistet mir Gesellschaft. Aber wieso habt ihr Fleischermesser dabei? Egal. Steckt die in euren Sack und kommt mit!»

Die drei Samichläuse schauten ihn verwirrt an. «Und wo ist Reimann mit dem Schmutzlikostüm?», fragte Rektor Vogel. «Kneift der Feigling?» Die Sami­chläuse murmelten etwas in ihre Bärte. «Egal, wir müssen los!», befahl der Rektor und schob die konsterniert wirkenden Chläuse die Treppe hinauf.

Als sie vor dem Eingang standen, hörten sie von rechts ein Berserkergebrüll. Von der unteren Mensa stürmte ihnen ein Hüne entgegen. Aus seinem linken Arm spritzten Blutfäden, in der rechten Hand hielt er eine gefährlich ratternde Parmesanraspelmaschine. Die Gestalt schrie: «Gebt mir meine Hand wieder! Gebt mir meine Hand wieder!» Rektor Vogel fragte: «Ist das nicht der Kluger? Ist der jetzt vollkommen übergeschnappt? Wahrscheinlich hat er beim Parmesanraspeln nicht aufgepasst und die Hand geraspelt.»

Vogel öffnete die Tür zum Lichthof. «Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Die Kassiererinnen werden ihn ins Unispital liefern, von wo er später ins Burghölzli verlegt wird.» Vogel schloss die Tür, deren Schloss Kluger mit dem Turbo-Gang der Parmesanraspelmaschine zu zerfetzen begann.

Vogel trieb die anderen die Treppe hoch ins Stockwerk D. «Wir lassen uns von niemandem die Show vermiesen!», beschwor er die drei Samichläuse, die zögerlich mitrannten. Als sie bei der Balustrade ankamen, schrillte die Vier-Uhr-Glocke. Im Lichthof plauderten Studierende. Rektor Vogel schmiss wuchtig Nüssli, Mandarinli und Schoggiherzli herunter und rief: «Ho, ho, ho!» Die Studierenden schauten irritiert nach oben. Vogel bemerkte, dass die anderen Chläuse nicht mitmachten. «Los, ihr Pfeifen», fauchte er, «Showtime!». Er griff in den Sack des Samichlauses neben ihm und warf etwas nach unten. Es war Klugers linke Hand.

Die Hand landete mitten auf einem Tisch mit Psychologiestudentinnen. Sie kreischten, dass das Glasdach des Lichthofs zitterte. Hinter der nächsten Ecke hörte man den Parmesanraspler näherkommen. Die drei Samichläuse machten sich davon. Vogel hintendrein. «Was ist eigentlich los mit euch?», schrie er. Es kam zum Gerangel. Der Rektor kämpfte wie ein Tiger. Doch schliesslich stiessen ihn die drei Samichläuse über die Balustrade in den Lichthof hinunter. Rektor Vogel landete exakt zehn Zentimeter neben dem Sofa von Pipilotti Rist, auf dem sich zwei hübsche Anglistikstudentinnen räkelten.

Die drei Samichläuse rannten die Treppe hinunter und fragten einen Erstsemestrigen, wo der Ausgang sei. Der wusste es nicht besser und wies ihnen den falschen Weg. Sie liefen schnurstracks in die untere Mensa, wo die Köche sie mit siedendem Öl und kochender Tomatensauce übergossen. Kluger kam hinterhergestürmt und zersäbelte die drei Chläuse mit der Parmesanraspelmaschine zu Hackfleisch. Die Putzkolonne musste Überstunden schieben.

Alles wurde gut. Am 7. Dezember assen die Studierenden in der Mensa die grossartigste Bolognese, die sie je gehabt hatten. Kluger offerierte Glühwein dazu. Seine linke Hand hatte er wieder. Medizinstudenten hatten sie auf Eis gelegt. Rektor Vogel hatte sich elf Knochen gebrochen, konnte aber an Heiligabend aus dem Spital entlassen werden. Und wurde nie mehr als langweilige Bürokratenmaus bezeichnet. ◊