Eine typische Pizza Hawaii. PD

Duell: Pizza Hawaii

An ihr scheiden sich die Geister: Pizza Hawaii. Entweder man liebt oder verabscheut sie.

23. September 2010

Dafür

Sie ist ein Etikettenschwindel, denn mit den Paradiesinseln im Pazifik hat sie überhaupt nichts zu tun. Erfunden wurde sie nämlich in den 1960er Jahren in Deutschland. Aber mir ist das vollkommen egal. Im Land der kulinarischen Höhenflüge, Italien, wird sie spöttisch als «pizza teutonica» beschrieben. Doch mir macht das überhaupt nichts aus. Ich liebe sie! Ich mag ihren süss-würzigen Duft. Ich mag es, wie sie in meinem Mund bei jedem Bissen eine Geschmackssymphonie aufspielen lässt, sich Ananas, Schinken und Käse zu einer mélange céleste vermengen.

Ihre Wirkung auf uns Esser ist einmalig, von ihrem Verzehr lässt sich geradewegs auf unseren Charakter schliessen. Wir gehören zu den Unerschrockenen. Wir trauen uns was. Während sich der Durchschnittsgourmet an die schlichte und langweilige Tomatensauce-Käse-Komposition hält (höchstens vielleicht mit ein paar Pilzen oder ödem Salami belegt), wissen wir, was wir wollen: Alles. Das Extreme. Wir sind die Reinhold Messners der rot-weissen Karotischdecken, verrückte Typen, zu allem entschlossen.

Doch damit nicht genug, denn etwas macht meine Lieblingspizza zudem sehr sympathisch: Sie ist trotz ihrer Wildheit die Pizza des kleinen Mannes geblieben. Für alle gedacht, die von der weiten Welt nur träumen können, von fernen Ländern, fremden Orten. Diese Pizza bringt für wenig Geld ein bisschen Exotik in jede kalte Schweizer Stube. Bereits für 20 Franken darf sich Hans Meier ein bisschen wie im Urlaub fühlen und fremdländisches Flair erfahren. Auch wenn er sie im «Ochsen» in Albisrieden bestellt.

Zugegeben: Sie mag nicht die eleganteste aller Pizze sein, und von den meisten Leuten wird sie als Unding und gastronomische Züchtung à la Frankenstein abgetan.

Dass sie die beliebteste Pizza in Australien ist, mag vielleicht auch kein Pro-Argument sein und eher den Gegnern der Köstlichkeit in die Hände spielen. Trotzdem, ich bleibe dabei. Die Pizza Hawaii ist das beste, das leckerste, draufgängerischste und «demokratischste» aller belegten Fladenbrote. Wahlweise auch mit Dosenkirschen auf den Ananaskringeln.

Dagegen

Man könnte die Schuld an dieser unsäglichen Pizzavariante den Deutschen in die Schuhe schieben. Denn es war ein Fernsehkoch unserer nördlichen Nachbarn, der in den 50er Jahren den Toast Hawaii «erfunden» hat (böse Zungen behaupten, er habe damals nur das amerikanische «grilled spamwich» kopiert). Das Ding wurde innert Kürze allseits bekannt und ungemein beliebt. Offenbar, weil es das Fernweh der Deutschen (Ananas) mit damaligen Luxusprodukten (Schinken und Käse) geschickt kombinierte. Das muss man wissen, wenn man über die Pizza Hawaii reden will, denn diese selbst ist nur ein Abklatsch dieses Toasts. Der Zusatz «Hawaii» wurde fortan für alles gebraucht, was Hobbyköche mit Schinken und Ananas auch noch belegen konnten: Steak Hawaii, Hähnchen Hawaii, in Rezeptdatenbanken findet sich sogar eine Lasagne Hawaii (mit Bildern!!!).

Die Pizza ist ein italienisches Produkt, 200 Jahre alt, mit viel Tradition und aus gesunden Zutaten, die mediterrane Diät soll ja die gesündeste von allen sein. Dann kopiert ein dahergelaufener Fernsehkoch ein garstiges amerikanisches Sandwich und bewirkt damit, dass sich kulinarisch verkümmerte Mitteleuropäer Konservenananas auf die Pizza knallen. Übrigens werden die vom anderen Ende der Welt hierhin geschifft und für ihren Anbau der Regenwald abgeholzt.

Von der geschmacksnervenzerstörenden Komposition abgesehen, stellt die Pizza Hawaii den hungrigen Esser auch vor praktische Probleme: Wie Napalmbomben liegen die Ananasstücke auf der Pizza und explodieren glühend heiss in unseren Mäulern. Einmal reingebissen, überlagert der süsslich-saure Geschmack alle geschmacklichen Feinheiten der übrigen Zutaten. Ananas ist nun einmal eine Frucht, die man kalt als Dessert isst.

Offenbar erreicht die Pizza Hawaii ihren höchsten Marktanteil in Ländern wie den USA, Australien oder Deutschland. Nicht in Italien. In einer hübschen, gemütlichen Pizzeria mit Holzofen eine Pizza Hawaii zu bestellen, das ist etwa dasselbe wie die NZZ zu kaufen und nur «Vermischtes» zu lesen. Die Italiener wissen das. Die Italiener wissen auch, was schmeckt.

Es läuft alles auf die Frage hinaus, was denn ein gutes Gericht ist. Dafür gibt es unzählige Kriterien: Originalität, Herkunft der Produkte, Tradition, Aufmachung, geschmackliche Raffinesse, ökologische Herstellung sind diejenigen, die mir wichtig sind.

Die Pizza Hawaii erfüllt keines davon.