Ach du studierst Latein?
Zusammen mit langhaarigen Männern und Brillenschlangen?
Ich habe früher auch gerne Asterix gelesen, denke ich, wie ich dich, lesend, im Tram sehe. Doch Halt! Da steht ja: «Asterix apud Britannos»! Ach so, du bist eine Lateinstudentin. Eigentlich bist du unauffällig, aber bei genauerer Betrachtung spricht alles dafür. Es fällt dir schwer, dich zu entscheiden: alt oder modern, brav oder ausgefallen? Deine Haare mit Haarspray zu behandeln verabscheust du, deshalb ziert stets ein Béret deinen Kopf. Über dein Gesicht blicke ich schnell hinweg, deine dünne, unscheinbare Brille vermag meinen Blick nicht zu fesseln. Du trägst ein weisses Hemd und Stoffhosen. Jeans verabscheust du. Mit deinen schwarzen Turnschuhen kannst du fast lautlos durch die Gänge der Uni schreiten. Dein Schritt ist unsicher. Diese Unsicherheit rührt wahrscheinlich daher, dass du in deinem Leben erst zweimal die Schule gewechselt hast: Primarschule, Langzeitgymnasium und jetzt Uni. In deinem Zimmer hängen immer noch Poster von galoppierenden Pferden. Du magst keine Veränderungen. Du widersprichst ungern, wenn es aber ums Latein geht, dann nimmst du es sehr genau. Wenn ich mit dir über Caesar oder Cicero sprechen würde, hieltest du dir deine Ohren zu – «Das ‹C› spricht man wie ein ‹K› aus, ver… verflixt noch mal!» Als dir dein kleiner Bruder erzählt hat, dass er sich gestern Abend klammheimlich aus der Haustür geschlichen hat, belehrst du ihn, dass «clam» eigentlich schon heimlich bedeute und «klammheimlich» deswegen ein Pleonasmus sei. Gerne hättest du einen Freund, um dich mit ihm über solche interessanten Dinge zu unterhalten. Du stehst aber nicht auf lange Haare und die tragen in deinem Studium alle Männer – sofern sie nicht altersbedingt ausgefallen sind. Wenigstens plagen dich keine Zukunftsängste, denn Lateinlehrerinnen gibt es nicht viele. Deine Augen glänzen jetzt schon, wenn du daran denkst, wie du ins Klassenzimmer trittst, laut «salvete discipuli discipulaeque» sagst und alle Schülerinnen und Schüler aufstehen und brav mit «salve magistra» antworten.
Stimmts? Der Fachverein antwortet:
12 Uhr mittags. Ich sitze an der Uni und denke darüber nach, wie die typische Lateinstudentin aussieht. Die Frisur hält. Gedankenverloren streiche ich über meine Jeans und wippe mit den Absatzschuhen. Bin ich die typische Lateinstudentin? Ah, jetzt weiss ich wieder, was ich am der typischen Lateinstudentin am liebsten mag! Die Tatsache, dass es sie nicht gibt. Kommt man zu uns in die Vorlesung, trifft man die unterschiedlichsten Menschen an, vom Streber bis zur Tussi, vom komischen Kauz bis zum unauffälligen Normalo. Und oft wundert man sich, dass sich gerade diese Person für Latein entschieden hat. Und doch sind sie alle begeistert von dieser «toten» Sprache und wollen sich mit der Kultur und der Literatur der alten Römer auseinandersetzen. Wer will schon Lateinübersetzungen von Asterix lesen, wenn er Plautus-Komödien oder Ovid-Gedichte im Original lesen kann? Wer Latein lernt, ist eindeutig nicht von gestern, er lernt vielmehr auch etwas für und über das Leben von heute. Habt ihr bemerkt, dass Cicero und Obama eigentlich gar nicht so verschieden sind? Wer Latein studiert, muss sich bewusst sein, dass man eine unter wenigen ist. Das hat Vor- und Nachteile: Man kennt sich untereinander, kann sich schlecht ausweichen und jeder weiss praktisch alles über jeden. Und nirgendwo gibt es grössere Klatschbasen als bei den Lateinern! Dafür sind Lateinlehrer sehr gefragt und schon während dem Studium kann man nebenher gutes Geld verdienen. Ausserdem gibt es da ja noch die vielen anderen Studierenden, die das Latinum nachholen und Nachhilfelehrer suchen. Das Geld kann man in eine Lateingrammatik oder auch in neue Jeans investieren, quod libet. Was mich angeht, werde ich davon wohl eine unauffällige Brille und schwarze Turnschuhe kaufen, die ich dann mit einem Schmunzeln im Uni- Hauptgebäude tragen kann. Schliesslich will ich gewissen Leuten nicht alle Vorurteile nehmen.
Annina Naef, Fachschaft KLPHS (Klassisch-Philologisches Seminar)