«Ich war nie ein Revolutionär», sagt Andreas Fischer über seine studentische Gesinnung. David Hunziker

«Bologna ist ein Verlust an Freiheit»

Der neue Rektor Andreas Fischer* über mehr Selektion, seine Studentenzeit und Schlussfeiern für abtretende Studierende. Und warum er Bologna trotzdem für richtig hält.

15. September 2008

Am ersten August haben Sie das Amt als Rektor der Universität Zürich angetreten. Zuvor waren Sie in der Lehre und Forschung tätig. Nun werden Sie vorwiegend administrative Aufgaben bewältigen müssen. Ist das nicht langweilig? — Die Arbeit ist anders als meine frühere Tätigkeit, doch überhaupt nicht langweilig. Ich bin seit 1985 Professor für englische Philologie an der Universität Zürich und habe 23 Jahre geforscht und gelehrt. Als mich die Findungskommission für eine Kandidatur zum Rektor anfragte, wusste ich, worauf ich mich einlasse. Die gesamtuniversitären Fragen interessieren mich seit der Zeit als Dekan der Philosophischen Fakultät. Geht es dabei auch um Macht? — Nein! Ich bin mir bewusst, dass ich ein grosses Mass an Einflussmöglichkeiten besitze. Das können sie auch Macht nennen. Doch ich bin kein Machtmensch.

Wie erlebten sie ihre Studentenzeit? — (lacht) Ich begann im Herbst 1967 zu studieren, war ein Jahr im Ausland und habe 1975 promoviert. Aus heutiger Sicht habe ich mein Studium relativ schnell abgeschlossen. Ich gehöre zur 68er Generation und habe diese Zeit in Basel sehr aktiv miterlebt. Ich war allerdings nie ein Revolutionär. Man hat damals alle Lehrinhalte kritisch hinterfragt und es gab kaum ein Seminar, das nicht von einer parallelen Diskussions- und Vorbereitungsgruppe der Studierenden begleitet wurde. Es gab aber auch strukturelle Forderungen, zum Beispiel nach Drittelparität. Das heisst, bei Entscheidungen, zum Beispiel in einem Institut, sollte ein Drittel der Stimmen Studierenden zukommen. Welches war damals Ihre politische Einstellung? — (überlegt) Kritische Mitte. Diese Meinung musste ich bis heute nicht grundsätzlich revidieren. Ich war nie Marxist und habe auch nicht mit der Linken sympathisiert. Auch einer konservativen Gruppierung habe ich nie angehört. Parteipolitisch war ich in dieser Zeit überhaupt nicht aktiv.

Sie möchten bekanntlich die Identifikation der Universitätsangehörigen mit ihrer Universität fördern. Mit was sollen sich die Universitätsangehörigen in Zürich identifizieren? — An der Universität Zürich soll die Meinung aller Studierenden vom ersten Semester an ernst genommen werden und sie sollen aktiv in den Prozess von Lehren und Lernen mit einbezogen werden.

Was meinen Sie genau mit «aktiv mit einbezogen werden»? Auch in Form von Entscheidungen? — Beschränkt. Ich halte es nicht für sinnvoll, dass die Studierenden in langfristigen Entscheidungen das letzte Wort haben, da die Kontinuität fehlen würde. Ich denke in erster Linie an die Inhalte der Lehre. Man soll die Studierenden als Gesprächspartner ernst nehmen, ihre Meinung abholen und sie zum kritischen Mitdenken anregen, sodass sie die Lehre nicht nur entgegennehmen.

Ein weiteres Thema, das die Studierenden im Moment beschäftigt, ist die Bolognareform. Hätten Sie gern in diesem System studiert? — (lange Pause) Bologna ist natürlich verbunden mit einigen Verlusten. Mein Studium war enorm frei, jedoch auch unstrukturiert.

Welche Nachteile hatte das? — Als ich damals in Basel Englisch und Deutsch studierte, gab es eine Art Proseminarstufe. Danach war ich sehr viel schlechter auf die Seminarstufe vorbereitet, als dies Studierende heute sind. Ich habe damals viel gelernt, doch es wurde weniger systematisch und vernetzt unterrichtet. Ich denke, der Verlust an Freiheit in den ersten paar Jahren des Bachelor-Studiums wird durch eine bewusste und durchdachte Strukturierung wettgemacht.

Die Universität Zürich hat die Aufgabe, jeden mit einer Matura aufzunehmen. Andererseits stehen Sie auch in einem Wettbewerb um die besten Absolventen. Wie bringen Sie diese Dinge in Einklang? — Sie müssen auf verschiedenen Stufen denken. Es gibt Stimmen, die sagen, die Universität müsse schon beim Eintritt auswählen können. Ich akzeptiere das Maturitätsanerkennungs-Reglement, das allen Inhaberinnen und Inhabern eines Maturzeugnisses den Zugang zu Schweizer Universitäten zusichert.

Sie akzeptieren, aber befürworten es nicht? — Ich befürworte es. Doch ich halte es auch für richtig, dass die Selektion mit jeder Studienstufe zunimmt. In der Schweiz gibt es ausser bei spezialisierten Masterprogrammen noch kaum eine Selektion zwischen Bachelor und Master. Ich denke jedoch, dass Dozierende beim Bachelor ein Auge auf speziell begabte Studierende halten und diese zum Master motivieren sollten. Beim Master sollte noch schärfer geschaut werden, wer für ein Doktoratsstudium geeignet ist.

Wagen wir nun noch einen Blick in die Zukunft: Was sollte an der Universität Zürich Ihrem Wunsch nach in einigen Jahren anders sein und inwiefern können Sie jetzt schon die Grundsteine dazu legen? — Ich möchte noch mehr für den akademischen Nachwuchs tun und wie schon gesagt, die Selbstidentifikation mit der Uni fördern. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich denke da an Göttis und Gottis für Erstsemestrige. Ausserdem bin ich dezidiert der Meinung, dass wir für die Bachelor-Studierenden eine Schlussfeier abhalten sollten. Einige fragen sich, ob man sich den Aufwand leisten soll. Ich denke jedoch, zum Abschluss eines Studiums gehört eine anständige Schlussfeier.

Welches Buch sollen alle Studierenden bis zum Abschluss ihres Studiums einmal gelesen haben? — Ich lese seit Langem fast nur englische Literatur, empfehle Ihnen hier aber einen schweizerischen Beitrag zur Weltliteratur: Gottfried Kellers «Der grüne Heinrich». *Andreas Fischer ist 1947 in Basel geboren und studierte in Basel und Durham (England) Anglistik, Germanistik und Kunstgeschichte. Er promovierte 1975 und 1981 erfolgte die Habilitation an der Universität Basel. Seit 1985 ist Andreas Fischer Professor für Englische Philologie an der Universität Zürich und seit 2006 Prorektor der Geistes- und Sozialwissenschaften. Am 1. August 2008 übernahm er das Amt des Rektors.