Karla II

Devastations, 2007.

11. März 2008

Karla stand auf einer Klippe irgendwo in Nord-Kalifornien und blickte in die Weite des Pazifiks. Sie fühlte sich wieder einmal ziemlich einsam. Das hatte sie ja eigentlich gesucht. Weg von Zürich, weg von ihrem hysterischen Freund (ihr erinnert euch: der heulende Teetrinker). Es sollte eine Denkpause werden. Riesenbäume umarmen in den Redwoods, Seehunde streicheln und Steintürme bauen. Doch wie Karla so in die Brandung hinunterschaute, merkte sie, dass sie diesen Selbstfindungskram gar nicht wollte. Man kennt das ja. Andere gehen nach Indien oder Thailand, tanzen an irgendwelchen Stränden zu beschissener Musik und fühlen sich endlich geerdet. In Nord-Kalifornien war nicht nur die Musik beschissen, sondern auch die besoffenen Indianer, die hier in ihrem Reservat auf bessere Zeiten warteten. Langweilig war das. Fast so öde wie ihr Freund zu Hause. Als sie sich auf den Weg zurück in ihr Häuschen machen wollte, entdeckte Karla plötzlich, weit unten auf den Felsen, ein paar Seehunde, die sich träge in der Sonne wälzten. Selbstfindung und nervende Partner waren bei denen kein Thema. Die hatten es gut. Wie schön wäre es jetzt, einer der ihren zu sein, dachte Karla und überstieg die Abschrankung. Unter ihr klaffte der Abgrund. Als sie abrutschte, sah sie noch die Tiere, die aufgeschreckt ins Meer zurückrobbten. Dann wurde es schwarz.

Ein paar Wochen später schickte mir Karla ein Foto. Ihr Gesicht war vernarbt, der gebrochene Kiefer wurde durch eine Riesenspange zusammengehalten. So sah Selbstfindung aus. Und was machte ihr Freund, der hysterische Teetrinker? Er schrieb ihr eine E-Mail nach Amerika. «Warum tust du mir das an? Du hast das extra gemacht. Das war doch kein Unfall. Du wolltest mir ein schlechtes Gewissen machen.» Das Leben eines Seehundes muss wirklich fantastisch sein.

Liaison Dangereuse