Wut fühlen gegen Bezahlung
In einem neuen Rageroom kann man seiner Wut freien Lauf lassen. Das Angebot wird rege genutzt. Wer zahlt so viel Geld, um alles zerschlagen zu dürfen? Unser Autor hat es ausprobiert.
Ich stehe in einer unterirdischen Lagerhalle inmitten des Industrieviertels in Schlieren. Der Raum ist spärlich beleuchtet, zu zwei Dritteln gefüllt mit Regalen voller alter Elektrogeräte: Vergilbte iMacs, Plattenspieler, futuristische Staubsauger. Zwei Räume verstecken sich hinter einer improvisierten Minibar in der einen Ecke. Aus einem davon ist ein Mix aus Heavy Metal, wütender Schreie, Glasgeklirre und dumpfen Schlägen zu vernehmen – das Innenleben einer der zwei Rage Rooms. Ein Rage Room ist ein Raum, in dem man, entweder aus Spass oder Ventil, Gegenstände zerstören kann. Seit wenigen Jahren eröffnen in der Schweiz immer mehr solcher Räume. Das «Gamjo Rageroom» bietet zwei Räume mit unterschiedlichen Themen an: «The Tunnel» und «The Bar». Ich habe mich für Letzteren entschieden. Gekleidet in Schutzanzug, sowie -brille, -maske, Schienbeinschoner und Handschuhe, bewaffne ich mich mit einem mir bereitgestellten Baseballschläger und einem Brecheisen.
Emotionen regulieren
Im Raum angekommen, schliesst einer der Mitarbeitenden die Türe hinter mir. An eine Bar erinnert der Raum nicht wirklich: Auf Holzpaletten und Blechfässern stehen Gläser, ein Bildschirm und ein PC. Ich beginne drauflos zu schlagen. Die Scherben fliegen, das Brecheisen hakt sich in den Bildschirm und mein ewiger Wunsch, mal ein Glas absichtlich mit voller Wucht gegen eine Wand zu werfen, erfüllt sich. Das Gefühl ist befremdlich, doch der Spass, einfach zu zerstören, zeichnet mir dennoch ein Grinsen ins Gesicht. Rund 45 Minuten später ziehe ich schweissgebadet meine Schutzkleidung aus. Zwei Frauen treten strahlend aus dem anderen Raum. Ein konkreter Anlass habe sie nicht hierher geführt. «Ich habe ein Video gesehen und dachte, ich fühle viele Dinge im Alltag – nur Wut irgendwie nicht», erzählt eine von ihnen.
Leon Ruckstuhl, ein Mitarbeiter, kommt schnell darauf zu sprechen, dass 70% - 80% der Besucher*innen weiblich gelesen werden. Bei der Eröffnung vor rund fünf Monaten habe sie das überrascht. Er erklärt es sich mittlerweile dadurch, dass weiblich sozialisierte Menschen im Alltag ihre Wut oft unterdrücken, während Männer eher mal in eine Wand boxen würden. Auch beim Akt der Zerstörung selbst würde es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern geben: «Frauen gehen systematischer vor, Männer mehr wie ein Tornado», meint Ruckstuhl. Zudem würden Frauen Dinge bevorzugen, die brechen und Männer eher schwere Dinge wie Drucker, auf die sie für längere Zeit draufhauen können. Grundsätzlich zieht das Angebot jedoch Menschen aus allen Lebensphasen an: Von Senior* innen über ETH-Student* innen bis zu Eltern mit ihren Kindern. Insbesondere Personen, die beruflich eng mit Menschen zusammenarbeiten, scheinen einen Gefallen am Angebot gefunden zu haben.
Ruckstuhl ergänzt, dass man den meisten Besucher* innen schnell anmerken würde, wenn sie aus einem bestimmten Grund da sind: «Oftmals merke ich bei der Begrüssung der Gäste schon, dass etwas nicht stimmt. Dann sind sie meist sehr ruhig oder ich merke, dass sie mir nicht richtig zuhören und nur darauf warten, endlich in den Raum gelassen zu werden». Verlust scheint diese Art der Kundschaft häufig zu vereinen – sei es eine Trennung, eine Kündigung oder der Tod einer nahestehenden Person. Der Umgang mit emotional geladenen Situationen und Menschen sei auch nicht immer ganz einfach.
Ein teurer Spass
«Einmal hatten wir eine Familie hier, deren Sohn kürzlich verstorben war. Sie haben dann im Raum auch Dinge zerstört, die sie eigentlich nicht hätten zerstören dürfen. Doch in solchen Situationen fällt es mir schwer, etwas zu sagen.», erzählt Ruckstuhl. Umso schöner sei es dann zu sehen, dass die Menschen erleichterter die Räume wieder verlassen. Mir wird während unseres Gespräches zunehmend klar, dass der Besuch für viele sehr persönlich ist. So wird den Besucher*innen beispielsweise eine Musikbox mit in den Raum gegeben. Dabei würde jegliche Art von Musik gehört. «Eine Gruppe Frauen hat auch mal die ganzen 30 Minuten lang Sprachmemos abspielen lassen – danach hassten wir alle Maxim», sagt Ruckstuhl.
Um die Erfahrung noch persönlicher zu gestalten, kann man für einen Aufpreis von zehn Franken eigene Gegenstände mitbringen. Dabei würden oft Andenken oder Bilder von Ex-Freund*innen oder des Chefs mitgebracht werden. Doch nicht alle würden den Raum benutzen, um unterdrückte Gefühle ausleben zu können. Viele der Besucher*Innen verstehen das Erlebnis als reine Freizeitaktivität – etwa wie einen Escape Room. 68 Franken kostet der Spass, wenn man sich allein austoben möchte. Bei der Gruppentherapie mit bis zu vier Personen, zahlt jede*r 45 Franken. Der Besuch hinterlässt ambivalente Gefühle. Einerseits scheint es den Besucher* innen zu helfen, aufgestaute Emotionen in einer kontrollierten Umgebung, frei von gesellschaftlichen Zwängen, rauslassen zu können. Andererseits wirkt es absurd, dafür zu zahlen, Wut fühlen zu dürfen – insbesondere, wenn Männer sie oft auf Kosten anderer im Alltag ausleben.