Harte Konkurrenz um den weichen Kern
Mit dem Herbstwind weht uns auch ein bekannter Duft in die Nase: Marroni. Jahr für Jahr werden die heissen Knollen herausgereicht, ohne dass wir wissen, was eigentlich innerhalb der grünen Wänden alles abgeht.
Ende September ploppen sie grün auf, die Marronihäuschen, und verwandeln Zürich gemeinsam mit dem Nebel in eine Herbst- und Winterstadt. Manche Betreiber*innen stehen seit Jahrzehnten hinter den Bratpfannen, durch die Verkaufsfenster blicken sie auf ihr gerahmtes Stück Zürich, im Winter behaupten sie sich gegen Eiseskälte. Namentlich genannt werden will von den Betreiber*innen, die von ihrer Arbeit erzählen, niemand. Das Misstrauen vor der Konkurrenz scheint gross. In der aktuellen Saison hat die Stadt siebzehn Bewilligungen für Marronistände ausgestellt. Es ist ein harter Kampf um Kund*innen, welche Anfang Oktober das Angebot testen und dem Siegerstand nicht selten den ganzen Winter lang treu bleiben. Ein Marronibrätler zeigt mir seine geschwärzten, rissigen Hände, mit denen er jedes einzelne Marroni auf die Qualität überprüft. Die Kriterien: leicht zu schälen, nussig-süss im Geschmack, ausserdem nicht gummig.
Die Verkaufsstandorte sind von der Stadt festgelegt. Jährlich reichen die etablierten Betreiber*innen ein Gesuch bei der Stadtpolizei ein, um wieder verkaufen zu dürfen. Diejenigen, die anstelle eines einfachen Standes das klassische Häuschen besitzen, müssen regelmässig die Baubewilligung erneuern. Damit die Häuschen im Stadtbild auch schön stimmig sind, hat die Stadt das «Modell Zürich» im Angebot – in drei Ausführungen und festgelegtem Grünton. Wer jedoch jetzt noch keine Hausbesitzer*in ist, wird es wahrscheinlich nicht mehr. Fast unmöglich ist es nämlich, neu ins Business einzusteigen. Die Stadt führt eine lange Warteliste von interessierten Personen, von denen sich einige schon vor Jahren eingeschrieben haben. Im Falle eines freiwerdenden Standortes werden die Interessenten kontaktiert – aber nur, wenn keine bereits etablierten Verkäufer*innen Anspruch erheben. Somit sind es in Zürich stets wenige Auserwählte, die im Winterhalbjahr die heissen Tüten über die Theke reichen.
Die Marroni, die sie in Zürich verkaufen, stammen aus Wäldern im Tessin und in Italien. Einige Betreiber*innen pflegen direkte Kontakte zu den Anbauquellen, andere beziehen ihre Ware von Zwischenhändler*innen. Die genauen Berufsgeheimnisse und Erfolgsrezepte bleiben aber hinter den Türchen, zu gross ist der Konkurrenzdruck. Auch auf die Frage bezüglich der genauen Miete reagieren die Betreiber*innen mit Distanz. Das Preisgefälle ist erheblich, je nach Lage bezahlt man zwischen 290 und 940 Franken pro Monat. Wie beim Monopoly ist ein Häuschen am Paradeplatz am teuersten.
Wenn es Feierabend wird, trotzen die warm duftenden Stände dem Strom von Pendler*innen. Die Hektik habe in den letzten Jahren zugenommen; immer schneller müsse bedient werden und Höflichkeiten blieben aus, erzählen die Verkäufer*innen. Und dann wiederum gäbe es Leute, die zurückkommen, um sich für die feinen Marroni zu bedanken und Kinder, die am Stand «Marrini Marruni Marroni» sängen.
Bis zu zehn Stunden am Tag stehen die Betreiber*innen hinter den Ständen, die meisten haben sieben Tage die Woche geöffnet. Erst, wenn die Saison Ende März vorüber ist, können sich die klammen Hände erholen. Um den Lebensunterhalt bestreiten zu können, arbeiten die Betreiber*innen im Sommerhalbjahr in anderen Berufen. Im Winter lässt es sich von den Marroni leben.