Jung und unkommerziell
Fünf Mitbewohnerinnen übernehmen für ein halbes Jahr das leere Lokal unter ihrer Wohnung. Das Projekt soll ein feministisches Zeichen in der Zürcher Gastroszene setzen.
Schon von weitem ist Bewegung in der Hafnerstrasse spürbar. Ein dichter Schwarm von Menschen steht vor dem Lokal, Stimmengewirr und Zigarettenrauch hängen in der warmen Abendluft. Drinnen bleibt kaum noch ein Platz frei, draussen breitet sich die Menge bis auf die Strasse aus. Gläser klirren, Baile Funk dringt durch die offene Tür. Es wirkt, als hätte Zürich ganz selbstverständlich einen neuen Treffpunkt bekommen. Erst beim genaueren Hinsehen wird klar: Es ist die Kaffeebar Miyo, deren fünf Gründerinnen noch vor kurzem fürchteten, niemand würde bei der heutigen Eröffnung erscheinen.
Der Freundeskreis packt mit an
Am Tag zuvor laufen die Vorbereitungen in vollem Gange. Es wird aufgehängt, beschriftet, Kisten werden geschleppt. Das Licht spiegelt sich in der Scheibe und der silberne Schriftzug «MIYO» wirft Schatten auf den Boden. Im grünen Innenhof sitzen Carla Zai und Carla Wagner, zwei der fünf Gründerinnen, auf bunten Stühlen. Sie sind 21. Beim Kaffee erzählen sie von einer langen Freundschaft und einem leerstehenden Lokal, das nun neben ihrem Studium, Praktika und Jobs zu einem grossen Projekt wurde: die Kaffeebar Miyo. «Make it your own» steckt hinter Namen und Konzept. «Alle sollen sich einbringen können», sagt Wagner.
Ein Raum für Kunst, Musik und Begegnungen, ein Projekt, das junge Zürcher*innen miteinander vernetzen soll. Schon jetzt zieren die neu gestrichenen Wände Fotografien und Kunstwerke. Bald sollen junge Kunstschaffende ihre Projekte im Miyo ausstellen und zum Verkauf anbieten können. Bisher ist es aber vor allem Kunst aus ihrem Bekanntenkreis. Die Quartierbeiz «Al Pattino», die den Raum zuvor bewohnte und italienisch angehauchte Küche servierte, hat im Juni geschlossen. Als die Mitbewohnerinnen Wagner, Zai, Sophia Milne, Larentino Bukvic und Zoé Musi der Wohnung oberhalb des Lokals vom Vermieter das Angebot bekamen, den Raum intern weiterzuführen, zögerten sie nicht lange. Er habe ihnen eine faire Miete vor geschlagen, die sie nun mit dem Betrieb der Bar zu decken versuchen.
Auf einen grossen Gewinn zielen sie nicht ab, denn das Miyo soll ein Ort sein, an dem junge Menschen ohne Konsumzwang willkommen sind. Die bis jetzt noch unbezahlten Café- und Barschichten werden per Gruppenchat unter Freund*innen organisiert. «Der ganze September ist schon voll», sagt Wagner zufrieden. Investoren? Fehlanzeige. Den Umbau und die ersten Mieten haben die Gründerinnen aus eigener Tasche bezahlt, das Inventar durften sie glücklicherweise vom Vorgänger übernehmen.
Ein ganzes halbes Jahr
Vielleicht liegt es am positiven Feedback, dass die beiden so entspannt wirken. Eltern, Freund*innen und Nachbar*innen begegnen dem Projekt mit Neugier und Freude. Vielleicht liegt es aber auch am Wissen, dass dieser Ort vergänglich ist: Der Mietvertrag ist bis Februar 2026 befristet. Danach soll das Gebäude renoviert werden. Fest steht: Der innere Kern des Miyo soll FLINTA-Personen vorbehalten bleiben – ein feministisches Zeichen in der Zürcher Gastroszene. Auch das Line-up für die Eröffnung besteht aus reinen FLINTA-DJs. In Zukunft soll zudem ein Awareness-Konzept sichtbar machen, dass Grenzüberschreitungen und Diskriminierung keinen Platz haben. Wie die Gruppe im Ernstfall reagieren wird, weiss sie noch nicht konkret. «Das ist eine grosse Sorge von uns», gesteht Zai. Die Vorbereitungen gehen jedoch alle nach Plan.
Auf die Frage, ob sie ihr Projekt mit Stolz erfüllt, sehen sich die beiden kurz an und lachen dann herzhaft. «Ja!», antworten sie im Chor. In diesem Moment wird spürbar: Das Miyo ist ein Projekt aus Freundschaft – und öffnet nun Raum für viele weitere. Seit dem 3. September hat ihr Lokal von Donnerstag bis Sonntag geöffnet. Ob sich ihr Konzept rentiert, wird sich zeigen. Sie sind sich einig, was sie unter einem erfolgreichen halben Jahr verstehen: «Wenn wir es schade finden dass es schon vorbei ist.»