Warum Zürich keine U-Bahn hat
Eine kuriose Tramhaltestelle erinnert noch an Zeiten, als Zürich mit einer U-Bahn zur Weltmetropole werden wollte. Doch Widerstand aus allen politischen Lagern liess den Träumen keinen Raum.
Vor etwas mehr als 50 Jahren hat die Stimmbevölkerung eine U-Bahn für Zürich abgelehnt. Jahrelange Planung wurde mit einem hitzigen Abstimmungskampf auf die Abstellgleise verfrachtet. In der sogenannten Netzentwicklungsstrategie 2040 halten die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) erneut fest, dass eine U-Bahn weiterhin keine Option für den Raum Zürich darstelle. Der steigenden Bevölkerungszahl müsse anders begegnet werden.
Bis 2040 rechnen die VBZ in der Stadt Zürich mit einem Bevölkerungszuwachs von rund 68'000 Einwohner*innen und zusätzlichen 40'000 Arbeitsplätzen. Mit der Frage, wie sich das bestehende Verkehrsnetz entwickeln muss, um den Anforderungen der Bevölkerung gerecht zu werden, hat man sich in der Netzentwicklungsstrategie vertieft auseinandergesetzt. Darin nennen die VBZ Massnahmen, um den Verkehr im Raum Zürich weiterzuentwickeln – eine U-Bahn sei dabei «aus betriebs- und volkswirtschaftlichen Gründen nicht zu rechtfertigen». Doch nicht nur der hohe Kosten- und Ressourcenaufwand spricht gegen eine U-Bahn. Beim Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel ist auch die zugrundeliegende Topografie und dementsprechend die in Zürich vorzufindenden Höhendifferenzen, so etwa beim Irchel oder Triemli, entscheidend. Zusätzlich sei für die Fahrgäste die Reisezeit ausschlaggebend. «Die hohe Reisegeschwindigkeit der U-Bahn wird rasch durch längere Zugangswege zu den unterirdischen und weit auseinanderliegenden Stationen zunichte gemacht», erklärt Judith Setz, Mediensprecherin der VBZ.
Ein klares Nein an der Urne
Pläne für eine U-Bahn gibt es verschiedenenorts seit der Eröffnung der London Underground im Jahr 1863. Ein Jahrhundert später erreichten diese Träume auch Zürich, das noch einem Dorf glich. Der Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg machte es jedoch möglich, ernsthaft über eine U-Bahn nachzudenken. Obwohl eine erste Abstimmung 1962 über eine Tiefbahn, ein Tram unter der Erde, von der Bevölkerung mit einem deutlichen Nein-Stimmenanteil von 62 Prozent abgelehnt wurde, führte man die Pläne weiter. Mit dem daraufhin diskutierten Nachfolgeprojekt, einer richtigen U-Bahn, wollte man Zürich schliesslich von einem Dorf zu einer Metropole erheben. Geplant war eine Strecke, die vom Bahnhof Dietikon über den Zürcher Hauptbahnhof bis zum Flughafen Kloten führte.
Damit sollte sie zwei stetig grösser werdende Gebiete, das Limmattal und das Glatttal, mit weiteren wichtigen Verkehrsknotenpunkten und dem Geschäftszentrum in der Innenstadt verbinden. Zur Hälfte hätte sich die Strecke unterhalb der Erde befunden. Noch ein halbes Jahr vor der Volksabstimmung lag die Zustimmung laut einer Umfrage der Behörden zwischen 75 und 80 Prozent. Am Abstimmungssonntag im Mai 1973 legten jedoch über 70 Prozent der Zürcher*innen ein «Nein» in die Urne. Zurückzuführen sei der Meinungsumschwung auf den Abstimmungskampf. Michael Koller, der «Das Scheitern des Zürcher U-Bahn-Projekts» in seiner Dissertation mit gleichnamigem Titel an der Universität Zürich analysiert hat, hält fest, dass verschiedene Faktoren zum Untergang führten. Neben zahlreichen hitzigen Veranstaltungen zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen, seien der Bevölkerung die negativen Seiten der U-Bahn durch Informationstafeln und Plakate auch im Alltag ständig präsentiert worden.
9er-Tramstation als Überbleibsel
Obwohl den Abstimmungsgegner*innen, der politischen Linken, die sich gegen die «kapitalistischen Interessen der Behörden» wehrten, in der medialen Berichterstattung mehr Platz eingeräumt wurde, sprach sich auch die Rechte gegen eine U-Bahn aus: Zürich solle nicht zu einer Millionenstadt mit ausländischen Arbeitskräften werden. Sowohl Links als auch Rechts waren sich einig: Es handle sich bei der U-Bahn um ein Luxusgut; das Geld müsste in dringender benötigte Projekte gesteckt werden. Die Eröffnung einer S-Bahn wurde jedoch mit grosser Zustimmung gewährleistet.
Auch heute setzen die VBZ weiterhin auf Bus, Bahn und Tram. Wie es in 30 Jahren, bei der nächsten Standortbestimmung der VBZ, um eine U-Bahn steht, sei dann wieder zu eruieren. Doch gänzlich verwerfen lasse sich eine U-Bahn für Zürich nie. Auch wer in Zürich die Tramlinien 7 und 9 benutzt, wird ab und an an vergangene Träume erinnert. Diese Linien tauchen zwischen Milchbuck und Schwamendingen unter die Erde und halten an einer im Vergleich zum Tram viel zu langen Haltestelle. Es handelt sich hierbei um ein Relikt aus Zeiten der U-Bahn-Abstimmung von 1973. Obschon sie vorbereitend für die Abstimmung gebaut wurde, blieb sie zehn Jahre unbenutzt. Entsprechend fährt dort das Tram, für das normalerweise Rechtsverkehr herrscht, auf der linken Seite, wie es bei U-Bahnen üblich ist. Da sich die Tramtüren in Fahrtrichtung rechts befinden, hätte das Tunnel sonst nicht benutzt werden können.