Ein Schutzraum verschwindet
In Zürichs offener Drogenszene litten Sexarbeiterinnen unter Ausnutzung und Gewalt. Der Lila Bus bot den Frauen einen Zufluchtsort, bis die Stadt ihn unter politischem und gesellschaftlichem Druck schloss.
«Auf dem Seefeldstrich werden die Frauen vielfach nur ausgenutzt. Wenn ein Freier merkt, wie zu eine ist, steigt er einfach zweimal drüber oder nimmt ihr das Geld weg», schildert damals Babs, eine Metzgerin und drogenabhängige Sexarbeiterin, die Situation im Zürcher Seefeld in den frühen 90er-Jahren. «Ich kenne auch Frauen, die statt Geld ein paar Messerstiche abgekriegt haben», erzählt sie. Denn dort, wo heute die Gentrifizierung ihren Lauf nimmt, herrschten vor gut dreissig Jahren ganz andere Verhältnisse. Der schicke Kreis 8 beherbergte damals den Strassenstrich. Inmitten dieser prekären Realität richteten im Jahr 1989 einige engagierte Frauen zusammen mit dem Zürcher Sozialamt den Lila Bus ein. Dessen Ziel: frauenspezifische Gassenarbeit. Doch das Projekt war von Anfang an umstritten und wurde nach nur zweieinhalb Jahren wieder abgebrochen.
Drogenabhängige gingen auf den Strich
In den frühen 1970er-Jahren richtete sich der Blick der Welt auf Zürich. Die wohlhabende Stadt sei zu einem Basar des Bizarren geworden, titelte 1990 die New York Times. Zu dieser Zeit veränderte sich der Drogenkonsum grundlegend. In der Schweiz wurden vermehrt harte Drogen wie Heroin und Kokain konsumiert, bereits 1972 gab es die ersten Drogentoten. Eine offene Drogenszene etablierte sich in den 1980er-Jahren beim Zürcher Platzspitz, der sich zum Treffpunkt für Konsument*innen und Dealer*innen aus ganz Europa entwickelte und international als «Needle Park» bekannt wurde.
Nachdem die Szene 1992 vom Platzspitz an den stillgelegten Bahnhof Letten verlagert wurde, eskalierten die sozialen Probleme weiter. Drogenkonsumentinnen sahen oftmals Sexarbeit als einzige Möglichkeit, genügend Geld für ihre starke Abhängigkeit zu beschaffen. Zudem fehlten oft alternative Arbeitsmöglichkeiten, da die meisten Konsumentinnen nicht mehr in den normalen Arbeitsmarkt integriert waren. Laut einer repräsentativen Umfrage war die Sexarbeit für rund 14 Prozent der Konsumentinnen auf dem Zürcher Platzspitz eine wichtige Einkommensquelle.
Täglich kriminalisiert
Durch die Bildung offener Drogenszenen entstand im Zürcher Seefeld ein Drogenstrich. Die Frauen, die hier arbeiteten, waren oft hochgradig abhängig und lebten in prekären Verhältnissen. Die Gefahr, von Freiern ausgenutzt, betrogen oder körperlich misshandelt zu werden, war allgegenwärtig. «Sie suchten sich junge Frauen und nutzten sie für wenig Geld aus», erinnert sich Babs. Betrug und Übergriffe von Freiern, welche die Abhängigkeit der Frauen ausnutzten, um Preise zu drücken oder ungeschützten Sex zu haben, gehörten zum Berufsalltag vieler Sexarbeiterinnen. Hinzu kamen Vertreibungen und Bussen durch Polizeipatrouillen, die fast ausschliesslich aus Männern bestanden und die Sexarbeiterinnen kriminalisierten.
Die gesellschaftliche Reaktion auf diese Zustände war geprägt von Ablehnung und Ignoranz. Die Frauen wurden als Problem wahrgenommen, die offene Drogenszene als Bedrohung für die öffentliche Ordnung. Staatliche Hilfsangebote waren oft unzureichend oder durch repressive Massnahmen eingeschränkt. Frauenspezifische Sozialarbeit entstand erst Mitte der 80er-Jahre – der Lila Bus war die erste und damals einzige soziale Einrichtung für drogenabhängige, in der Sexarbeit tätige Frauen.
Feministischer Schutzraum
Der Bus wurde vom Zürcher Sozialamt unter Leitung der damaligen Zürcher Stadträtin Emilie Lieberherr als mobiler Schutzraum konzipiert und im Seefeld stationiert – in unmittelbarer Nähe zur Szene, aber räumlich abgetrennt von der Öffentlichkeit. Er war von Dienstag bis Samstag geöffnet, nur Frauen hatten Zutritt. Jeweils zwei Sozialarbeiterinnen betreuten den Lila Bus, der mit einer Sitzecke, einem WC, einer Dusche, Hygieneartikeln und einer kleinen Bar ausgestattet war. Neben kostenlosen Mahlzeiten, Getränken, Präservativen und Spritzen, bot er vor allem Raum für Gespräche mit den Betreuerinnen sowie Unterstützung in den Bereichen Wohnen, Entzug, Arbeit und Ämter. Es stand regelmässig eine Ärztin für medizinische Versorgung bereit, zudem wurde psychologische Hilfe und Rechtsberatung angeboten.
Die politische Dimension des Projekts war von Anfang an klar: Der Lila Bus sollte nicht nur Überlebenshilfe leisten, sondern auch auf die strukturellen Probleme der Frauen aufmerksam machen, insbesondere auf die Verbindung zwischen patriarchalen Machtverhältnissen, sozialer Ausgrenzung und Drogenabhängigkeit. «Wir haben uns gegen die Gewalt gewendet und uns für die Legalisierung und die diversifizierte Abgabe von Opiaten eingesetzt. Wir wollten in der Strichzone arbeiten, und wir wollten die Gewalt innerhalb der Geschlechterverhältnisse diskutieren», meinen die Sozialarbeiterinnen, die ihre Arbeit als feministische Intervention verstanden.
Fehlende Akzeptanz
Schon kurz nach der Eröffnung des Busses regte sich Protest im Seefeld. Anwohner*innen klagten über den nächtlichen Freierverkehr, Lärm und die sichtbare Präsenz von drogenabhängigen Frauen. Der Quartierverein Riesbach, der anfangs das Projekt noch unterstützte, änderte seine Haltung und forderte dessen Schliessung. Auch die Behörden zeigten sich zunehmend kritisch. Dabei nahmen auch Gewalt und Bedrohungen gegen die Frauen und das Betreuungsteam immer mehr zu, nicht nur von den Freiern, auch von der Polizei selbst. Im März 1991 kam es zu einer verbalen Attacke eines Polizisten gegenüber einer Sozialarbeiterin, welche die schwindende Unterstützung verdeutlichte: «Er sorge persönlich dafür, dass dieser Fotzenbus verschwinde… er möchte eine Bombe unter den Bus legen», heisst es in einer vom Lila Bus-Team verfassten Dokumentation. 1992 wurde die Anlaufstelle durch das Sozialamt geschlossen. Die Schliessung des Lila Busses wurde von den dafür Verantwortlichen mit mangelnder Akzeptanz in der Bevölkerung und finanziellen Engpässen begründet. Tatsächlich war der politische Druck auf das Sozialamt gewaltig geworden. Die feministische Ausrichtung des Projekts, die direkte Konfrontation mit patriarchalen Machtverhältnissen und die öffentliche Sichtbarkeit der Problematik – all das war politisch nicht gewollt.
An der Gesellschaft gescheitert
Doch das Scheitern des Lila Busses ist mehr als nur das Ende eines sozialen Projekts. Es zeigt die strukturellen Widersprüche der damaligen Schweizer Drogen- und Sozialpolitik auf. Während die staatliche Drogenpolitik ab den 1990er-Jahren zunehmend pragmatische Ansätze wie die Viersäulenstrategie verfolgte – Repression, Prävention, Therapie und Schadensminderung – blieb die gesellschaftliche Haltung gegenüber Sexarbeit und weiblicher Drogenabhängigkeit von Stigmatisierung und Repression geprägt. Seine politische Dimension wurde dem Lila Bus zum Verhängnis. Als Statement gegen Ausgrenzung und Marginalisierung von Frauen in der Drogenszene zeigte das Projekt die Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Drogenhilfe auf und machte die strukturellen Ursachen von Gewalt und Ausbeutung sichtbar. Letztlich waren die gesellschaftlichen und institutionellen Widerstände gegen die feministische Haltung des Lila Busses stärker als die politische Unterstützung. Die Schliessung des Busses hinterliess eine Lücke – sowohl für die Frauen, die dort Schutz fanden, als auch für die gesamte feministische Sozialarbeit.
Die Informationen entstammen einer historischen Seminararbeit der Autorin.