Mit Herz und Hühnerstall
Claire my Flair landete mit dem Release ihrer Debütsingle noch am selben Tag im Radio. Zwischen Taylor Swift und Zukunftssorgen lebt sich die Zürcher Musikerin in der Musikszene ein.
Die Zürcher Musikerin Chiara Fanuli – bekannt als Claire my Flair – strahlt durch den Bildschirm, als wir uns über Facetime treffen. Wo sie gerade am liebsten wäre? Auf einer sonnendurchfluteten Lichtung im herbstlichen Wald, neben einem Hühnerstall, umgeben von Ruhe. Für Chiara ist die Natur ein wesentlicher Rückzugsort, eine Quelle der Gelassenheit, die auch in ihrer Musik spürbar wird. Genau davon handelt ihr Lied «Chickens in the Backyard». «Das Stadtleben kann so intensiv sein, und ich brauche manchmal das Ländliche als Ort des Kontrasts», sagt sie.
Das städtische Leben ist für sie dennoch nicht wegzudenken: der Austausch mit anderen Künstler*innen und die Vielfalt der urbanen Dynamik nähren ihre Kreativität. Seit 2019 ist Chiara Teil des Vereins Resonance Jams im Planet5, der jeden Donnerstag seine Türe für alle Musiker*innen öffnet. Die Atmosphäre dort sei unterstützend, auch wenn Ressourcen für spezielle FLINTA*-Veranstaltungen fehlen. Der Verein wurde aus dem Bedürfnis heraus geschaffen, gemeinsam Musik zu machen und ein Netzwerk aufzubauen. Chiara betont, wie wichtig Inklusivität ist und ermutigt jene, die sich bisher nicht auf die Bühne trauten, es zu versuchen. Jungen Musiker*innen rät sie: «Vernetzt euch und findet heraus, wer euch in dieser Szene Kraft gibt und arbeitet mit genau diesen Menschen!»
Lange Zeit war das Musikgeschäft für Chiara eine unnahbare Welt, weit entfernt von ihrer Realität in der Schweiz. Doch als sie ein befreundeter Drummer vor zwei Jahren ermutigte, ihre selbstgeschriebenen Songs aus der heimlichen SoundCloud-Sammlung herauszuholen und aufzunehmen, wagte sie den Schritt. Anfang 2023 veröffentlichte sie ihre erste Single «S.O.S.», und die Überraschung war gross: Noch am selben Tag lief das Lied auf SRF 3. Céline Werdelis, Moderatorin bei SRF Punkt CH, entdeckte den Song über eine Instagram-Story von Jorina Stamm, der Lead-Sängerin von Soft Loft. Begeistert schrieb sie Chiara direkt an und nach einem kurzen Telefonat war bereits alles in Sack und Tüten. «Ich konnte es erst gar nicht fassen, als ich mich plötzlich im Radio hörte», sagt sie begeistert.
Sorge um die Neugeborene
Bereits heute kann sie auf Momente zurückblicken, von denen langjährige Musiker*innen nur träumen. Darunter ihr Auftritt als Support-Act auf der aktuellen Tour des britischen Musikers Ben Howard. An einem kurzen Gig in einem Zürcher Hotelfoyer spielte sie ungeahnt vor ihm, und sein Management war so beeindruckt, dass sie Chiara für Howards Tour anfragten. Ein Highlight der Tour war ein Abend in Antwerpen, als sie den Produzenten von Taylor Swift traf. «Ich war überrascht, wie klein die Musikszene ist. Auf einmal war ich nur eine Person davon entfernt, Taylor Swift kennenzulernen.»
Dabei sind die Arrangements bewusst simpel gehalten, um Raum für die Botschaft des Textes zu lassen. Durch das Schreiben kann sie die neue Intensität ihres Lebens verarbeiten und für ihre Hörer:innen zugänglich machen. Ihre neueste Single «Newborn Baby» bringt auf den Punkt: «Treat me like a newborn baby, treat me kindly» – ein Appell an das Publikum, sie als neues Mitglied der Musikszene behutsam aufzunehmen.
Doch das Leben als Musikerin bringt auch Herausforderungen und Unsicherheiten mit sich, die die Musikerin immer wieder beschäftigen. Mit ihrer 60-Prozent-Stelle als Psychomotoriktherapeutin an einer Schule finanziert sie ihre Musik, da die Einnahmen aus Gigs kaum zum Leben reichen. «In Zürich spitzt sich die Situation stark zu. Mehr Musiker*innen bewerben sich auf Fördergelder, der Topf wird aber nicht grösser», sagt Chiara. Überlegungen zur Rente und der 3. Säule beschäftigen sie und lassen sie schon jetzt über die Langfristigkeit ihrer Karriere nachdenken.
Musikalisch stehen Chiara aufregende Zeiten bevor: Nach «Newborn Baby» erscheint eine zweite Single im Februar, und im März 2025 ist ihre erste EP zu erwarten. Die Themen ihrer Musik sind unverblümt persönlich; von Herzschmerz über Freundschaft bis hin zu queer-feministischen Themen. «Es geht um mich, wer ich bin und wen ich liebe», sagt Chiara.