Wie real ist BeReal?
„Omg äs isch BeReal time! Schnäll!" Ich war BeReal Fan, definitiv. Nachdem ich Snapchat und Instagram aus Suchtgründen gelöscht hatte, kam BeReal zu meiner Rettung. Nun wusste ich wieder, was im Leben der anderen abging, jeden Tag, real, zuhause, bei der Arbeit, im Tram oder im Ausgang. Da ging mein Gossip-Herz regelrecht auf. Wenn ich an einem spannenden Ort war, hoffte ich, es würde sich bald mit einem „drrrring" die Be-Realtime ankündigen, oder ich ärgerte mich fürchterlich, wenn ich eine halbe Stunde zuvor mein BeReal im Bett vergeudet hatte. BeReal war super.
Man konnte maximal eine halbe Stunde auf der App verbringen, selbst wenn man alle Beiträge von Freund*innen drei mal angeschaut und in den Memories seine letzten zwei Wochen Revue passieren liess. Eine nicht süchtig machende, informative und lustige App, bei der man mal seine Freund*innen realitätsgetreu sehen konnte, ohne Filter, Werbung oder Konsumdruck. Ein Träumchen. Da die Software meines Handys zu alt für die App war, konnte ich sie zu meinem Bedauern einige Monate nicht mehr nutzen. Als ich Ende dieses Sommers zurück auf die App kam, fühlte es sich nicht mehr an wie BeReal, sondern wie “be-trayal”.
Vermeintlicher Gegenpol
Verraten hat uns Alexis Barreyat, der Gründer und ehemalige CEO. Seine Grundidee ein soziales Netzwerk zu schaffen, welches die tatsächliche soziale Verbindung zwischen Freund*innen fördert, war verloren gegangen. Die App sollte ein Gegenpol zu den ästhetisieren und überladenen Social Media Apps wie Instagram und TikTok darstellen. Das Konzept von BeReal ist, dass man einen Schnappschuss zu einem von der App gewählten Zeitpunkt posten kann. Hält man diesen Zeitrahmen ein, kann man noch ein Bonusbild knipsen und hochladen.
Mittlerweile kann man, selbst wenn man ein sogenanntes BeLate gepostet hat, trotzdem noch ein Bonusbild posten. Macht man pünktlich ein BeReal, kann man nun sogar vier weitere Bilder knipsen. Im Endeffekt doch wieder eine Überflutung von plötzlich langweilig gewordenen Bildern. Hinzu kommt zwischen fast jedem Post eine Werbung. Da verfalle ich doch lieber wieder Instagram.
Als Reaktion auf das von Werbung und Influencern dominierte Instagram, fand BeReal ab 2020 vor allem bei der Gen-Z schnell anklang. BeReal erzielte über 100 Millionen Downloads in den ersten drei Jahren, stand in den App-Charts zuoberst und galt 2022 als eine der erfolgreichsten Apps. Es wurden insgesamt etwas mehr als 110 Millionen Dollar von privaten Unternehmen in die App investiert. Ich habe mich nie gefragt, wie dies rentieren sollte. Ich vermutete, durch den Verkauf von Nutzer*innendaten. Damals hatte BeReal jedoch ausdrücklich in seinen Lizenzvereinbarungen erwähnt, dass sie keine Daten verkaufen.
Auf Profitkurs
Das steht in leicht abgeänderter Form immer noch drin, jedoch mit der Ausnahme der Daten, die auf der App durch eigene Tools der Werbetreibenden erhoben werden. Das Wachstum der App nahm nun in den letzten eineinhalb Jahren jedoch deutlich ab. Nur noch 40 Millionen User*innen nutzen die App regelmässig. Diesen Juni wurde BeReal von Voodoo, einem Spieleentwickler, für 500 Millionen Euro übernommen. Voodoo will laut eigenen Aussagen BeReal zu einem weiteren Wachstum und neuen Funktionen verhelfen, da sie das soziale Potenzial der App schätzen, daher auch die Werbung.
Doch vielleicht wird BeReal nun einfach zu real. Eine App, die nicht nur existiert, um uns Freude zu machen, sondern um Geld damit zu verdienen. Die unschöne Realität hat die App nun selbst eingeholt. Zu meiner Freude kann man mit einem Klick in den Einstellungen personalisierte Werbung ausschalten und somit aktuell doch noch Werbung umgehen. Meinen anfänglichen Schock konnte ich nach meinem dritten Bonus-BeReal schliesslich doch noch verkraften – natürlich mit einem freundlichen Lächeln im richtigen Winkel in die Kamera. Ein bisschen Falschheit bei BeReal ist vielleicht gar nicht so verkehrt.