En garde! #2/20: Kordel-Schlüsselanhänger

En garde!

5. April 2020

Pro — Sobald ich das Haus verlasse, ist er mein treuer Begleiter und schmiegt sich an meinen Hals. Stehe ich bei der Rückkehr vor der Tür, muss ich nicht lange in meinem Rucksack, meiner Jacken- oder Hosentasche wühlen: Mein Hausschlüssel ist bereits einsatzbereit auf Schlosshöhe. Bin ich morgens zu spät, liegt es nie daran, dass ich meine Schlüssel nicht finde, den geknüpften hellblauen Anhänger erspähe ich in jedem Chaos. So erspart mir diese geniale Erfindung Stress und verlorene Zeit. Das Beste daran ist, dass sich das Schlüsselanhänger-Repertoire nach Bedarf beliebig anpassen lässt. Egal, ob Feuerzeug, Flaschenöffner oder Mini-Sackmesser, sobald ein neuer Gegenstand am kleinen Karabiner hängt, trägt ihn die farbige Kordel beschwingt durch die Gegend. Nur liegt mein Schlüsselanhänger nun unbenutzt auf meinem Pult, er hat schon länger nichts mehr aufgeschlossen. Ich warte sehnlichst auf den Moment, in dem ich ihn mir wieder umhängen, mein Fahrrad blitzschnell aufschliessen und losdüsen kann. [Nuria Tinnermann]

Kontra — Ein merkwürdiger Trend hat Zürich erfasst: Wer sich heute hip zeigen will, trägt seinen ganzen Hausrat um den Hals. Ein Handy hier, ein Schlüsselanhänger dort, zur Sicherheit noch ein Feuerzeug. Fehlen nur das Taschenmesser und der Werkzeugkasten. Alles lässt sich an einer Kordel aufhängen und dient als Zulassungs-Badge zum Hipstertum. Muss das Feuerzeug immer griffbereit sein, falls aus dem Hinterhalt eine wilde Zigarette auftaucht? Und der Schlüssel, falls man plötzlich unverhofft vor der eigenen Haustür steht, das Handy, falls man blitzschnell ein unvergessliches Motiv auf Insta festhalten muss? Hosentaschen haben ausgedient und werden durch die mysteriöse Hausratkordel ersetzt. Der Swag ist wichtiger als die Funktionalität, doch das vermeintlich unangestrengte Cool-Sein wirkt dabei unglaublich angestrengt. Die bunten Anhänger-Kordeln verbreiten sich in Zürich wie ein Virus, unverhofft sind auch engste Verwandte und Bekannte betroffen. Wer sich nicht schnellstens selbst isoliert, wird bald selbst mit einem goldenen Feuerzeug um den Hals aufwachen. [Dominik Fischer]

Mit Illustrationen von Sumanie Gächter.