It's a Match #4/19
Mister Facetime — Als Kind eines Psychologen bin ich es gewohnt, ein Experiment zu sein. Heute studiere ich selbst Psychologie und mache zeitweise sogar Selbststudien. Meine letzte Datenerhebung tätigte ich nach einer liebestechnischen Durststrecke, geprägt von schlechten Küssen und mich an meinen Extensions ziehenden Idioten.
Vor etwa einem Jahr stolperte ich nämlich über eine Studie von Arthur Aron, welche experimentell induzierte Nähe zwischen zwei völlig Fremden schaffen soll.
Einige Tage zuvor hatte ich ihn kennengelernt. Mit seinen Chris-Hardy-artigen Lippen und hellbraunen, perfekt sitzenden Schmalzlocken befreite er mich aus dem Tinder-Dschungel – vorerst zumindest. Wochenlanges Face-ge-time, tägliche Treffen und das Teilen niedlicher Welpen-Fotos auf Instagram gaben Hoffnung. Nachdem er meine Einschlusskriterien erfüllte, startete ich also mein Experiment mit der Stichprobengrösse N=1.
Wir begannen mit Arons eher oberflächlichen Fragen, wie beispielsweise ein perfekter Tag aussehen würde. Bei den darauffolgenden tiefgehenden Fragen dachte ich mir tatsächlich, dass daraus etwas werden könnte. Doch Monate später und desillusioniert von seiner Besessenheit von halbnackten Influencerinnen, Zigaretten und seiner Abneigung gegen den Veganismus, beschlossen wir in einem Telefonat, dass wir wohl doch nicht Susi und Strolch sind.
Offensichtlich war nicht nur meine Selbststudie unterpowert, sondern auch unsere Beziehung. Die 36 Fragen von Arons Studie hatten in mir die Illusion einer emotionalen Bindung geweckt, die gar nie da war. Dennoch bin ich mit Mister Facetime bis jetzt befreundet.
Ganz dazu bereit, Arons Fragen zu verwerfen, war ich dann aber doch nicht.
Fortsetzung folgt.
Herzlich
Charlotte Chardonnay