Auf die inneren Werte kommt es an: blindes Speeddating.

Freibier und betretenes Schweigen

An der ETH wird Blind Dating wörtlich genommen. Von den Schwierigkeiten, sich mit Augenbinde kennenzulernen.

4. Dezember 2017

Sich mit verbundenen Augen kennenzulernen, ist schon eigenartig genug. Wenn man darüber hinaus aber nur fünf Minuten Zeit hat, fühlt man sich ziemlich hilflos. Für alle, die sich nun denken: «Wo zum Teufel macht man sowas?», angeboten wird es ab und zu an der ETH. Es nennt sich blindes Speeddating. Die Idee dahinter: Man lernt das Gegenüber komplett blind kennen. Rein anhand des kurzen Gesprächs entscheidet jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin selbst, ob er oder sie das Gegenüber vielleicht noch besser kennenlernen möchte.

Immerhin Freibier

Bevor man den Raum des Geschehens betreten darf, werden einem die Augen verbunden. In die Hand gedrückt bekommt man einen Block und einen Stift. Das dient dazu, dass man sich Notizen zu den Gegenübern machen kann und dazu, wie sie einem gefallen. Diese Zettel werden später eingesammelt und so die Matches erstellt. Als ich mich gerade zu fragen beginne, ob ich mir das wirklich antun will, kommt die Frage nach meinem Getränkewunsch. Will heissen: es gibt Freibier. Meine Begeisterung für den Anlass steigt.

Fuchtelnde Maulwürfe

Die grösste Herausforderung des Abends war das Ausführen einer ganz simplen Geste, nämlich, mit dem Gegenüber anzustossen. Der Spass der Organisatoren muss beträchtlich gewesen sein, als sie uns wie hilflose Maulwürfe durch die Gegend fuchteln sahen.

Was ist das grösste Problem, wenn man mit jemandem eine Unterhaltung führt, ohne ihn zu sehen? Es ist das Fehlen der Körpersprache. Man kann nicht herauslesen, ob man mit der letzten Aussage einen wunden Punkt getroffen hat, ob man das Gegenüber fesselt, abschreckt oder langweilt. Man hofft einfach das Beste.

Tatsächlich waren fast alle männlichen Teilnehmer Studenten der ETH. Ein einsamer Student der UZH war auch anwesend; er brachte immerhin ein bisschen Schwung in die Sache. Denn Studiengänge scheint es an der ETH nur drei zu geben: Maschinenbau, Informatik und Physik. Wie man sich vielleicht schon vorstellen kann, waren die Unterhaltungen bezüglich des Studiums sehr abwechslungsreich.

Mein grösster Tiefpunkt des Abends war, als ich gerade sehr begeistert meine Lieblingsserie vorstellte, nur um festzustellen, dass der Kandidat schon an den nächsten Tisch verfrachtet wurde.

Matches per Mail

Am Schluss wurden die Notizzettel eingesammelt. Die Matches würde man später erhalten. Die Augenbinde durfte man aber trotzdem noch vor dem Verlassen an der Bar ausziehen. Kaum waren sie runter, hörte man aus allen Richtungen leichtes Gekicher. Und aus der linken Ecke hörte ich eine männliche Stimme: «Hmmm … habe Schlimmeres erwartet.» Dankeschön?

Für eine längere Unterhaltung ohne Augenbinde blieb keine Zeit; man wurde nach fünf Minuten hinausgescheucht, da der nächste Speeddating-Block begann. Den Gesichtern nach zu urteilen, war die Mehrheit der Anwesenden wahrscheinlich ziemlich dankbar für diese knappe zeitliche Einteilung.

Die Matches erhielt ich am nächsten Morgen per Mail zugestellt, drei Personen konnte ich begeistern. Gemeldet hat sich bisher noch keiner. Enttäuscht bin ich deshalb nicht, eine witzige Erfahrung war es allemal. Und ganz ehrlich? Ich hatte auch Schlimmeres erwartet. ◊