Frisch gepresste Platten
Als Papi früher seine Platten hörte, durfte man nur ganz sachte über den Spannteppich huschen, sonst machte die Nadel einen Gump und Falco rockte den Amadeus noch einmal von vorne quer durchs Wohnzimmer. Diese Zeiten sind vorbei. Doch wo sind die Zeiten, als die Generation Y ständig über den eigenen Taufbuchstaben stolperte: Vynil oder Vinyl? Auch vorbei. Junge interessieren sich wieder für Platten.
Sihl Records ist ein Beweis, dass Musik durch die Nadel noch längst nicht abkratzt. Der schmucke kleine Plattenladen an der Martastrasse im Kreis 3 gleicht zwar auf den ersten Blick eher einer Kaffeestube, geht man jedoch an den Bistrotischchen vorbei, gelangt man im hinteren Raum zu den in Massivholzregalen fein säuberlich sortierten Platten. Hier ist alles zum Anfassen und Ausprobieren: Auf den Fenstersimsen stehen Plattenspieler, Mischpult und Kopfhörer. Man setzt sich auf einen Klappstuhl, hört sich durch die Scheiben und nippt hin und wieder am selbstgemischten Soda, das einem gleich beim Hereinkommen in die Hand gedrückt wurde.
Sihlrecords hat vor zwei Wochen eröffnet und war kurz darauf bereits fast leergeräumt. „Ich hätte nicht mit einem solchen Ansturm gerechnet“, staunt Andreas Ramos, Besitzer des Geschäfts und oft gesehener Scheibendreher in Clubs wie Hive oder Friedas Büxe. Die Nächste Lieferung ist aber bereits unterwegs. Zusammen mit vier weiteren DJs sucht er stets nach neu erschienenen Perlen, um sie bei sich zu verkaufen. Das Angebot soll einen grossen Teil der elektronischen Musik abdecken. Von Ambient und Downtempo über Experimental bis hin zu Minimal und Techhouse sind jegliche Stilrichtungen vertreten.
Doch die Vielfalt ist längst nicht das einzige Ziel, welches Andreas mit seinem Projekt verfolgt: „Hier soll man sich - nebst dem Stöbern in den Regalen - an einen Tisch setzen, Kaffee trinken und sich mit anderen über Musik austauschen können.“ Dies ist sogar erwünscht. Da heute die meisten Leute ihre Musik alleine im Internet kaufen, habe Diskurs über neue Releases leider stark abgenommen.
Wer sich nicht für Platten interessiert, der könne Musik auch übers bereitgestellte Internet im Laden „diggen". Wichtig sei es ihm vor allem, einen Ort zu schaffen, an dem die Musik zum Gespräch wird.
Ein Verteufler der modernen Technologien sei er nämlich bestimmt nicht. Trotzdem scheint es ihm wichtig, dass nebst all den Vorteilen der Digitalisierung auch diejenigen der analogen Welt vorhanden bleiben. Deshalb verkauft er in seinem Laden fast ausschliesslich Vinyl-only Platten, also Records, die digital nicht erhältlich sind. „Für DJs ist dies ein grosser Vorteil. Kommt ein guter neuer Track digital heraus, ist er nach etwa drei Wochen von den DJs totgespielt. Vinyl-only Records erkennt hingegen auch Shazam nicht, sodass die Leute auch bei einem Jahre alten Lied noch glauben können, es sei brandneu.“
Doch was will man in diesem Laden, wenn man nicht DJ ist? Natürlich muss man für elektronische Musik etwas übrig haben. Und das reicht vielleicht bereits. Entweder verfällt man dann gleich der Sucht des Plattensammelns, oder man wärmt seine Hände zeitvergessen an der Kaffeetasse und freut sich, dass man hier der Musik nicht nur zuhören, sondern auch zusehen kann.