Editorial #6/16

Editorial

5. Dezember 2016

Viva la Reformación— Wer heute an 1968 denkt, denkt wohl in erster Linie an Revolution, ob sexuell oder politisch. Dabei haben nicht Revolutionäre, sondern Reformatoren wie Moritz Leuenberger

(S. 17) die Gesellschaft im Rückblick weitaus nachhaltiger verändert. Jener Teil der 68er-Generation, der auf einen Wandel von innen heraus abzielte; der sich in die Institutionen gekniet hat.

Doch der Nimbus der Revolution ist ungebrochen. Einfach mal von vorne beginnen, die Schweizerfahne und Tell zusammen mit dem Kapitalismus im Verbrennungskraftwerk der Geschichte verheizen: wie einfach es doch sein könnte. Diese romantische Vorstellung lockt gewisse Studierende noch immer.

Dabei ist Revolution unweigerlich mit Gewalt verbunden. Und Gewalt erzeugt Gegengewalt, das habe ich von den Ärzten gelernt. Ich glaube nicht an die Revolution, weil ich glaube, dass wir mit der gewaltsamen Überwindung von Zuständen, die uns stören, gleichzeitig auch gewonnene Freiheiten opfern. Natürlich ist die Welt beschissen, so, wie sie ist. Vieles will ich grundsätzlich ändern. Aber im Herzen bin auch ich ein Reformator. Ich glaube an sanfte Übergänge und einen steten Wandel, der auf Inklusion und Respekt statt auf Umsturz beruht.

Auch in der ZS steht eine Reformation an. Eine neue Generation übernimmt. Einiges wird sich wohl ändern: Ein paar heilige Kühe werden geschlachtet und eine neue Redaktionskultur wird aufgebaut werden. Aber ich zweifle nicht daran, dass unsere Nachfolgenden aus dem Bestehenden das Beste machen werden.

Michael Kuratli, Redaktionsleiter