Du sollst nicht haten

27. September 2016

Wieso dein Smartphone nur so schlecht ist wie du selbst. Ein Plädoyer gegen Technophobie.

Technologie zu haten, ist heutzutage cool. Wer ein Nokia 6100 statt eines iPhone 7 besitzt, ist nicht etwa rückständig, sondern setzt damit ein Statement. Eine verbreitete Vorstellung ist, dass sich auf Facebook nur dreizehnjährige Jugendliche oder allzu neugierige Eltern tummelten und dass Instagram vor allem ein Tool für selbstverliebte Digital Natives sei, die sich nicht eingestehen, dass sie bereits am Selfie-Arm-Syndrom leiden. Die Linse der Kamera werde sowieso nicht mehr nach vorne gerichtet; ein Bild des Eifelturms interessiere niemanden mehr, wenn nicht auch das Gesicht des Urhebers darauf ist. Damit nicht genug, würden wir täglich mit einer Flut von Nachrichten überschüttet, bei welchen es längst nicht mehr darum gehe, Fakten zu verbreiten, sondern vielmehr darum, Aufmerksamkeit zu heischen, Revenue zu erhalten und Clicks zu baiten.

Das Selfie-Syndrom ist aber gar nicht so neu, wie wir uns oft glauben machen wollen. Die eigene Person ins Zentrum des Bildes zu stellen, ist etwas, dass die Reichen und Adligen seit Jahrhunderten praktizieren. Die Galerien des Louvre bersten vor Öl-Porträts von Personen, von denen wir heute weder den Namen noch den Rang kennen und um die sich – abgesehen vom künstlerischen Wert des Porträts – heute auch niemand mehr schert. Geändert hat sich seither nur eines: Heute benötigen wir keine Maler und Pinsel, keine Staffelei und schon gar keine Stunden mehr, um ein Abbild unserer Person in Farbe festzuhalten. Das Privileg des Selfies ist längst nicht mehr den Ultrareichen vorbehalten. Hat uns die Technologie also selbstverliebt gemacht? Mitnichten. Was sie uns gebracht hat, ist die Möglichkeit, die Selbstverliebtheit zu akzentuieren, die seit jeher in uns steckt.

Alles schon da gewesen

Auch die Internet-Sucht ist ein viel diskutiertes Thema der Technophoben. Dabei sprechen sie nicht einmal von den tatsächlich Kranken, von jenem kleinen Bruchteil, der wahrhaftig Hilfe im Umgang mit dem Internet benötigt. Was die Kritikerinnen und Kritiker bemängeln, sind die Leute, die in den Zügen auf ihren Bildschirmen tippen oder einmal eine Mahlzeit auslassen, weil sie zu sehr in ihr Videospiel vertieft sind.

Haben wir es hier mit einem neuen Phänomen zu tun? Nicht wenige Maler oder Schriftsteller berichten von Perioden, in welchen sie von ihrer Arbeit so absorbiert waren, dass sie ihr gesamtes Umfeld für Stunden vergassen.

Digitaler Spiegel unserer Eigenschaften

Diesen «Flow-Zustand» kennt die Psychologie gut, und er ist kein neues Phänomen. Genauso wenig wie das Bedürfnis nach Gesellschaft und sozialen Kontakten. Zugegebenermassen hat sich unsere Kommunikation seit der Erfindung von Kurznachrichten-Apps stark verändert. Es gibt heutzutage selten einen Augenblick, in welchem wir uns nicht mitten in einem Gespräch mit einer Freundin oder einem Familienmitglied befinden, das jederzeit wieder aufgenommen werden kann. Denn im Grunde ist der Mensch doch ein soziales Wesen, das den Kontakt mit seinen Mitmenschen braucht wie die Luft, die es atmet. Ein solches Verhalten pathologisieren zu wollen, wirkt skurril.

Schliesslich liegt es doch immer am Nutzer und der Nutzerin, zu entscheiden, wie die Technologien, die ihnen zur Verfügung stehen, gebraucht werden. Es ist ein Trugschluss, der Technologie den Teufel anhängen zu wollen: Technologie ist weder inhärent schlecht noch ist sie von Natur aus gut. Das Selfie, die WhatsApp-Konversation, die reisserische Artikelüberschrift im Newsportal: Die digitale Technologie ist nichts anderes als ein Spiegel, der jene Eigenschaften der Menschen wiedergibt, die bereits vor dem Einschalten des Computers vorhanden waren. Zu behaupten, Technologie ruiniere die Gesellschaft, ist daher nichts weiter als eine feige Ausrede; das Abschieben der Verantwortung auf ein «anderes», der Gesellschaft aufgesetztes Böses. Wie unangenehm wäre es denn, wenn wir uns selbst als Urheberinnen und Urheber des Bösen im Spiegel der Technologie erkennen müssten? ◊