Strebsame Sphären mit dem Heinz Herbert Trio. © Jazz Festival Willisau, Marcel Meier

Jazz am Dorffest

Mit dem Jazzfestival in Willisau ist dieses Wochenende eines der wohl sympathischsten Musikfeste des Landes über die Bühne gegangen. Für sein Programm von Weltformat ist Willisau bekannt. Auch dieses Jahr überzeugte das Line-Up. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt dennoch.

6. September 2016

Was sich mondän Jazzfestival nennt, präsentierte sich Neuankommenden im Luzerner Hinterland erst einmal als besseres Quartierfest. Etwas ausserhalb des Stadtkerns waren auf einer Nebenstrasse Festbänke aufgestellt und ein provisorisches Restaurant unter einem Zeltdach errichtet worden. Auf einer Bühne, die gerade einmal die Höhe eines anständigen Bordsteins hatte und daher ihren Namen kaum verdiente, spielte am Freitagabend die Bündner Sängerin Ursina. Die Lieder, die sie da vortrug, waren träumerische Balladen auf Englisch und Romanisch, die, in Sophie-Hunger-Manier von elektrischer Gitarre untermalt, zu schönen, melancholischen Stimmungsbildern verschwammen. Zuhören tat dennoch kaum jemand, zu sehr vermochten die Bratwürste und das Gehackte mit Hörnchen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Liedermacherin liess sich davon allerdings nicht beirren: Sie spielte munter ihr Set zu Ende, bedankte sich bescheiden und entliess ihr Publikum in eine Pause, die sie selbst damit verbrachte, ihre LP ans Volk zu bringen.

Willisau und das Nirgendwo

Willisau will mehr sein als ein Fokloreanlass. Dass es denn auch deutlich mehr ist, wurde eine gute Stunde und eine ordentliche Portion Gehacktes später deutlich: Pünktlich um zwanzig Uhr stand auf der Bühne der Festhalle das Trio Heinz Herbert. Die drei jungen Männer aus der Ostschweiz – von denen im Übrigen keiner Heinz oder Herbert heisst – machen auf einer Auswahl an Tasteninstrumenten, einer Gitarre und einem Schlagzeug Musik, die sie selbst als Industrial Jazz bezeichnen. Da war es um die Festlichkeit schnell geschehen. Denn was die drei spielen, ist ein ebenso kruder wie virtuoser Mix aus einem jazzigen Irgendetwas und einem elektronisch lärmigen Sonstwas, der einen erst einlullt, dann ins Nirgendwo entführt und einem schliesslich selbst dort mit jedem Stück noch etwas mehr vom Boden unter den Füssen entzieht. Natürlich schwingt da auch ein gewisses Strebertum mit, wenn das Trio seinen Tüftlersound vorspielt. Natürlich wird hier auch mit Komplexität und Unverständlichkeit kokettiert. Aber immerhin: Es gelingt den dreien, dass man nach dem Konzert geradezu dankbar für etwas so Triviales wie ein Bier ist.

Willisau und Williams

Es hätte von einem ausserordentlich gelungenen Abend die Rede sein können; man hätte die positive Überraschung, die das kleinformatige Festival durchaus geboten hatte, mit nach Hause nehmen und bestimmt gut schlafen können. Wenn nur der Abend an dieser Stelle zu Ende gewesen wäre. Doch da stand noch ein Punkt auf dem Programm. So versammelte sich das Publikum wiederum in der Festhalle und wohnte dem Auftritt des Infinity Quartets um den Saxophonisten David Murray bei, das derzeit mit dem Rapper-Schauspieler-Slampoeten und Dichter Saul Williams unterwegs ist. Leider wurde schnell klar: Die Unendlichkeit, wenigstens nach der Auffassung der vier Instrumentalisten, klingt nach eher nichtssagendem Jazz in klassischer Formation mit Schlagzeug, Bass, Klavier und Saxophon. Sie kommt hyperaktiv schnell, erschreckend laut und alles in allem erstaunlich schludrig daher. Da konnte auch der kluge und wortgewaltige Sprechgesang von Saul Williams nicht mehr viel ausrichten.

Das wirklich Irritierende an dem Konzert aber war nicht seine musikalische Mittelmässigkeit, sondern vielmehr das Publikum, das in einem fort in jubelnden Applaus ausbrach und am Ende sogar im Takt um Zugabe klatschte, wie es sonst nur im Musikantenstadel und ähnlichen Zusammenhängen üblich ist. Das erweckt den Eindruck, das Publikum hätte schlecht zugehört, oder sei eben doch mehr in Volksfeststimmung gewesen. Angesichts dessen, was Saul Williams nämlich zu sagen hat, ist das ziemlich daneben: Mit ruhiger, tiefer Stimme entwirft er düstere Zukunftsvisionen und prangert globale soziale Ungerechtigkeiten an. Kein Wunder, überkam den Wortkünstler während seiner abschliessenden Verneigung ein bitteres Lachen.