Kommentar: Der Anti-SVP-Reflex

Kommentar

10. Mai 2016

Asylgesetzrevision — Das erste Mal in der Geschichte des Schweizer Asylrechts hat eine rechte Partei, die SVP, das Referendum gegen eine Asylgesetzrevision ergriffen. Am 5. Juni stimmen wir darüber ab.

Alle bisherigen Revisionen waren Verschärfungen und haben die Lebensbedingungen für Asylsuchende verschlechtert. Kein Grund also für die fremdenfeindliche SVP, sich dagegen zu wehren. Nun aber findet sie, dass die Asylsuchenden keine unentgeltliche Rechtsvertretung zur Seite gestellt bekommen sollen – und nennt diese «Gratisanwälte».

Die Linke ist in einem Dilemma: Soll sie das revidierte Asylgesetz annehmen, um ja nicht in die SVP-Ecke gestellt zu werden? Oder soll sie das Gesetz ablehnen, genauso wie die menschenfeindliche Rechte – aber aus anderen Gründen? Auch die aktuelle Revision bedeutet eine Verschlechterung der Situation für Schutzsuchende: Das Staatssekretariat für Migration will den kostenlosen Rechtsbeistand zur Verfügung stellen, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Dieser Beistand wird vor allem deshalb nötig, weil die Beschwerdefristen für die asylsuchenden Menschen drastisch gekürzt werden sollen – von 30 auf 7 Tage. In so kurzer Zeit würden sie es kaum schaffen, kompetente unabhängige Anwältinnen und Anwalte beizuziehen. Ganz so uneigennützig, wie es scheint, sind die «Gratisanwälte» also nicht. Zudem ritzt die Einrichtung von Bundeszentren, in denen die Menschen neu ihre Zeit bis zum Asylentscheid verbringen müssten, das Grundrecht der Bewegungsfreiheit.

Soll man also Ja stimmen, um der SVP nicht in die Hände zu spielen? Weil der kostenlose Beistand ja immerhin etwas ist? Weil ein Nein als Zeichen gegen Flüchtlinge, gegen Asylsuchende aufgefasst würde? Die Linke hat es verpasst, die Kritik an der Revision selbst in die Hand zu nehmen. Den Diskurs zu bestimmen, sodass ein Nein zur Revision kein Ja zur SVP ist. Sondern ein Ja für die Asylsuchenden, für Menschenwürde, für eine offene Schweiz.

Ich werde am 5. Juni Nein stimmen. Weil ich mir mein Abstimmungsverhalten nicht von der SVP diktieren lassen will. Wenn der Anti-SVP-Reflex ganz inhaltslos greift, dann wird er zur Farce.