Max und Chrige, das ewige Hin und Her. Filmstill aus «Der Meister und Max»

Die Sehnsucht nach dem Sinn

In seinem Film «Der Meister und Max» lässt Marcel Ramsay einen verzweifelten Mann nach seiner Lebensaufgabe suchen. Am 28.2 feiert der Film seine Premiere im Kino RiffRaff.

24. Februar 2016

Max (Max Rüdlinger) ist ein kleinkarierter Normalbürger. Ein Radiomoderator, der Angst davor hat, die Nachrichten auf Englisch vorzulesen. Der etwas zu viel raucht und definitiv zu viel trinkt. Dabei könnte seine Angebetete Chrige (Christine Lauterburg) sich durchaus für ihn begeistern, wenn er nicht immer «d’Schnurre da unge» hätte. Mal etwas machen, etwas wagen würde. Aber Max wandert lieber mit Polo Hofer durch die Hügel, brät eine Bratwurst, bestellt noch einen Schnaps.

Eine Hommage an ein Lebenswerk

Als grosser Fan des Filmemachers Clemens Klopfenstein war es das Ziel des Regisseurs Marcel Ramsay, aus Ausschnitten von verschiedenen Filmen Klopfensteins einen völlig neuen zu machen; ohne eine einzige Sekunde selbst gedrehten Filmmaterials. Die Idee klingt paradox, doch sie ist gelungen umgesetzt. Die aus der Anordnung resultierenden Probleme löst Ramsay auf kreative Weise: Indem die Chronologie auf offensichtliche Weise durcheinander gewirbelt wird, wirken scheinbare Ungereimtheiten wie kunstvoll arrangierte Teile einer Geschichte, die so bisher mit keinem der Orignialfilme erzählt worden ist. Und die Fantasie des Zuschauers wird selbst zum filmischen Mittel.

Es ist eine Geschichte wie eine Momentaufnahme einer einzigen Generation, die doch unfassbar vielfältig ist. Verzweiflung und Hoffnung, Scheitern und Gelingen, Liebe und Abneigung sind so nahe beieinander, dass die Figuren selbst darüber verwirrt zu sein scheinen: Der Protagonist ist verloren in der Rolle, die sein Leben ausmachen soll. Antriebs- und freudlos versucht er hie und da irgendwas ansatzweise, um es dann doch wieder aufzugeben; ein Verhalten, das seine Freundin nicht länger erträgt. Und obwohl Max einsieht, dass es so nicht weitergehen kann, scheitert er bei jedem Versuch, jedem Neuanlauf; und merkt, dass das Problem bei seinem Schöpfer liegt. Und als dieser ihm mehr gibt, als er verarbeiten kann, gerät alles noch ein bisschen mehr aus den Fugen.

Von der Schönheit in der Verlorenheit

Clemens Klopfensteins poetischer Blick auf die Welt, der in Schwarz-Weiss-Filmen nicht weniger ästhetisch ist als in den neueren Werken, und die unruhigen Bilder, die doch von einer Idylle zeugen, die den Zuschauer in ihrer Beständigkeit einnimmt, überzeugen in "Der Meister und Max", einem Film über die Suche nach einem tieferen Sinn. Dabei wechseln sich warme Bilder eines Sommertags mit dem kalten, regennassen Wetter am nächsten Tag, ebenso unvorhersehbar, trist und erbarmungslos wie das Leben, dem der Protagonist zu enntfliehen versucht.

Die ZS verlost Tickets für die Premiere von «Der Meister und Max» am 28.2. um 12 Uhr im Kino RiffRaff. Like den Facebook-Post zu diesem Artikel.

«Max ist er Inbegriff des Bünzli-Schweizers»

Interview mit Regisseur Marcel Ramsay zu seiner Hommage an Clemens Klopfenstein.

Marcel Ramsay, die Geschichte von «Der Meister und Max» ist relativ ungewöhnlich. Wie ist die Idee für den Film entstanden?

Bei einem Abendessen mit Clemens Klopfenstein, einem Urgestein des Schweizer Kinos, dessen Filme ich immer schon geliebt habe. Da ich seit Jahren Trailermacher bin, wünschte sich Clemens zu seinem 70. Geburtstag ein besonderes Geschenk: einen Trailer für sein Gesamtwerk. Daraus wurde schliesslich ein abendfüllender Film – und gleichzeitig etwas, was in der Filmgeschichte bisher einzigartig ist: ein neuer Film mit einer eigenen Geschichte, aus dem Gesamtwerk eines einzigen Regisseurs montiert, ohne dass auch nur eine Sekunde zusätzliches Material gedreht wurde.

Wie alt ist das benutzte Material?

Die verwendeten Filme wurden zwischen 1979 und 2004 gedreht. Ich mischte Aufnahmen in Farbe und Schwarzweiss genauso wie dokumentarisches und fiktionales Material, so z.B. aus den preisgekrönten Werken «Geschichte der Nacht» und «Transes», die in den frühen Achtzigerjahren eine ganz neue Art von Dokumentarfilm auf die Leinwand brachten. Meinem Vorhaben zugute kam die Tatsache, dass Klopfenstein in seinen Spielfilmen immer wieder mit denselben Darstellern drehte – allen voran Max Rüdlinger, Christine Lauterburg und Polo Hofer, die stets auch ein Stückweit sich selbst verkörperten. Max und Christine wurden nach dem Zusammentreffen auf dem Set von «E nachtlang Füürland», wo sie sich quasi vor laufender Kamera ineinander verliebten, denn auch in Realität ein Paar.

Und blieben es?

Und blieben es bis zum letzten gemeinsamen Klopfenstein-Film «Macao», in dem die von Max gespielte Figur stirbt und jene von Christine ihm in den Tod folgt. Während der Film die ewige Liebe feiert, trennten die beiden realen Menschen sich bei der Premiere des Films aber vor Tausenden von Zuschauern auf der Piazza Grande in Locarno.

Alle Protagonisten, vor allem die Hauptfigur Max, haben ihre Probleme. Was ist der grundlegende Konflikt des Films?

Max ist der ewige Zauderer, der Inbegriff des Bünzli-Schweizers, der ständig über Andere ablästert, sich aber selber nichts traut und seinen Sehnsüchten folglich permanent hinterherhinkt. Er will ein Anderer sein, als er eigentlich ist, schafft das aber nicht: Er wird nicht Künstler und kein feuriger Liebhaber, der seine Christine auf Dauer halten könnte. Das ist schon in den Klopfenstein-Filmen so, und ich konnte es benutzen. Was ich aber neu kreiert habe: eine Meta-Ebene, auf der Max, die Filmfigur, ihren Erschöpfer Klopfenstein aufsucht und bittet, sie endlich aus ihrer Rolle des ewigen Verlierers zu befreien.

Und? Wird dieser Wunsch erfüllt?

Zunächst ja, zumindest ein bisschen: Klopfenstein gewährt Max die Kontrolle über Christine, die ihm nun endlich nach- statt immer wieder davonläuft. Doch lange währt die Glückseligkeit nicht. Denn Christine durchschaut Maxs Trick – das Zaubern mittels einem ganz speziellen Schnaps – und rächt sich.

Das Ende bleibt relativ offen. Wie könnte es weitergehen?

Meine Idee war, eine Ewigkeitsschlaufe anzudeuten. Am Ende mündet der Film wieder in seinen eigenen Anfang. Sprich: Es gelingt Max nicht, sich aus seiner Rolle zu befreien. Er bleibt gefangen im Klopfensteinschen Universum, könnte nur ausbrechen, wenn sein Meister ihm eine neue Geschichte erfindet. Dieser wird im Film aber als ebenfalls gefangen gezeigt – in einer Schaffenskrise, eher dem Alkohol als dem erneuten Filmemachen zugeneigt.

Lässt sich das Ganze auf unsere Gegenwart, die Probleme, mit denen man heute kämpft, übertragen?

Ich glaube, nicht das zu tun, was man eigentlich möchte, sich selber im Weg zu stehen, ist ein ewig aktuelles Phänomen. Nicht nur bei Schweizern. Ich beobachte das auch bei vielen Kreativen – ja, bei Menschen generell. Die Figur des Max bietet also wohl für viele Identifikationspotenzial.

Was ist für Sie das Essentielle des Films?

Für mich ist er in erster Linie eine Hommage an Clemens Klopfenstein – und somit an eine Art des Filmemachens, die sich von den Zwängen eines Drehbuchs mit durchkalkulierter, oft vorhersehbarer Dramaturgie und von ästhetischen Normen befreit; etwas, was ich in meinem Film noch weiter getrieben habe, indem die Protagonisten in einer einzigen Szene zuerst 50, dann 20 und dann wieder 30 sind. Das irritiert das Publikum zwar zunächst, bald schon wird es aber als neue Realität akzeptiert – denn die Kraft der Fantasie ist stärker als alles Andere. Diese Kraft ist auch das eigentliche Thema des Films: die fiktiven Figuren sind so lebendig, dass sie – im Klopfensteinschen Universum hängen bleibend – zwischen den Dreharbeiten zu ihren Filmen ein Eigenleben entwickeln. Und nicht zuletzt: Im Kino wird alles möglich! Es ist nicht nur Zauberei mit einem Schnaps, sondern oft pure Magie.